(„Heimatland“ directed by Jan Gassmann, Benny Jaberg, Michael Krummenacher, Lisa Blatter, Gregor Frei, Carmen Jaquier, Jonas Meier, Tobias Nölle, Lionel Rupp, Mike Scheiwiller, 2015)
Erst sind es aufsteigende Nebelschwaden, kaum wahrnehmbar, harmlos. Doch die Schwaden werden größer, dunkler, bedrohlicher, formen sich zu einer Wolke, die sich über das ganze Land auszubreiten anschickt. Woher sie genau kommt, weiß niemand so recht, auch nicht, welche Auswirkungen sie für das Land haben wird. Nur dass sie an den Landesgrenzen Halt macht, das ist recht offensichtlich. Während sich in der Bevölkerung Panik ausbreitet, stellt sich für viele die Frage: Muss ich nun mein Land verlassen? Und wenn ja, wohin soll ich gehen?
Wenn unsere deutschsprachigen Nachbarn aus dem Süden ihre Filme in unsere Kinos schicken, dann waren es meistens die aus Österreich, welche ins Auge stachen – Werke von Michael Haneke (Liebe), Ulrich Seidl (Im Keller) oder dessen Ehefrau Veronika Franz (Ich seh, ich seh) sorgten selbst im Ausland für Furore. Im Vergleich dazu war die Schweizer Ausbeute eher gering. Dann und wann dürfen wir zwar auch die Eidgenossen bei uns begrüßen, beim empfehlenswerten Jugenddrama Chrieg zum Beispiel. Außerhalb der Programmkinos brauchte man sie aber eher nicht zu erwarten.
Heimatland zeigt nun auf eine eindrucksvolle Weise, dass sich das ändern kann, vielleicht sogar ändern sollte. Nicht weniger als zehn Jungregisseure trafen hier zusammen, um eine Geschichte zu erzählen. Oder besser: mehrere Geschichten, die zu seiner großen Geschichte zusammenwachsen. Vor dem Hintergrund der nahenden dunklen Wolke wird das Drama zu einer Mischung aus Katastrophenfilm und Gesellschaftsporträt. Wie Menschen sich angesichts eines Unglücks verhalten, darin zeigt sich auch, wer sie sind. Das Ergebnis sind aber nicht durchwegs große Geschichten: Da treffen Plünderungen und Barbarei auf Zynismus der Reichen, die sich mit Geld freikaufen möchten. Andere Episoden sind eher persönlicher, sogar leiser Natur, handeln von Erinnerungen und auseinanderbrechenden Partnerschaften.
Dass der Tonfall da nicht immer ganz zusammenpasst, ergibt sich quasi von selbst. Einen roten Faden braucht man ohnehin nicht zu erwarten: Trotz diverser Querverbindungen bleibt Heimatland ein eher diffuses Mosaikbild, bei dem nie ganz klar wird, ob es überhaupt ein Bild sein soll. Und doch ist es beeindruckend, wie homogen das Ganze ist, wie geschickt die einzelnen Stränge miteinander verwoben sind und zusammen mit den schicken, düsteren Aufnahmen eine unheilvolle, mysteriöse Atmosphäre erzeugen. Die Hintergründe der Wolke bleiben dabei übrigens im Unklaren, hier geht es weniger um die Situation als vielmehr die Personen darin.
Das funktioniert recht lange ziemlich gut, trotz eines nicht allzu ausgeprägten Spannungsaufbaus bleibt man doch gern dran und sieht den Menschen dabei zu, wie sie versuchen, ein Leben in der Ausnahmesituation zu führen. Etwas zwiespältig wird es jedoch zum Ende hin, wenn Heimatland zu einem Film über die Flüchtlingsproblematik wird. So interessant es auch ist, den Spieß einmal umzudrehen und die Schweizer zu unfreiwilligen Auswanderern zu machen, ihre Ängste vor dem Identitätsverlust zu thematisieren, es ist schon ein bisschen zu dick aufgetragen. Gerade auch, weil vorher vieles unausgesprochen blieb und die zehn Filmemacher sich der Erklärungen verweigerten, wird da etwas unangenehm mit dem Holzhammer eingedroschen. Da hätte man dem Publikum doch noch ein bisschen mehr Eigenleistung zutrauen dürfen. Es bleibt aber trotz der kleinen Pannen ein spannendes filmisches Experiment, welches das Kollektiv hier auf die Leinwand zaubert und das es verdienen würde, auch außerhalb der Landesgrenzen Menschen in die Kinos zu locken.
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