1001 Nacht Teil 2 Der Verzweifelte
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1001 Nacht, Teil 2: Der Verzweifelte

(„As Mil e Uma Noites: Volume 2, O Desolado“ directed by Miguel Gomes, 2015)

1001 Nacht Teil 2 Der Verzweifelte
„1001 Nacht, Teil 2: Der Verzweifelte“ läuft seit 11. August im Kino

Der Titel des Mittelteils von Miguel Gomes monumentaler Fiktion-Realität-Mischung über das heutige Portugal ist Programm: Der Verzweifelte zeigt wie schon der erste Teil Der Ruhelose eine Reihe von Einzelschicksalen, die von Verzweiflung geprägt sind, mitunter aber auch den Zuschauer zum Verzweifeln bringen können. Nicht weil der Film schlecht wäre, im Gegenteil. Er ist nur schwer zu fassen, im einen Moment hier, im anderen dort, überschreitet unentwegt Genregrenzen, ohne darauf zu achten, ob ihm noch jemand nachfolgt.

Der erste der drei voneinander völlig unabhängigen Abschnitte etwa befasst sich mit einem Mann, der seine Frau erschoss, seither auf der Flucht vor der Polizei ist und auf absurde Weise zu einem Volkshelden wird – wer die Obrigkeiten derart zum Narren hält, kann kein ganz schlechter Mensch sein, so denken die gefrusteten Leute. Es ist die am schönsten bebilderte Geschichte, aber auch die, die am wenigsten zu erzählen hat. Eigentlich folgen wir hier nur dem Gesetzesbrecher, lauschen den Geräuschen der Natur, ein fast schon romantisches, idyllisches Ambiente. Eine typische Western-Outlaw-Fabel. Wäre da nicht der Grund: Ein Verbrechen aus Leidenschaft, aus Verzweiflung wohl, das anschließend ein Eigenleben entwickelt hat.

Während hier der Bezug zum aktuellen Portugal nur erahnt werden kann, wird der zweite Abschnitt umso deutlicher. Anstatt weitläufiger Landschaften spielt hier ein Großteil innerhalb eines antiken Amphitheaters, in dem eine Richterin über einen Fall von Möbeldiebstahl zu urteilen hat. Ein einfacher Fall, so scheint es, bis die Angeklagte ihre Motive erläutert. Bis sie etwas über den Bestohlenen erzählt. Bis der wiederum etwas über andere erzählt. Immer weiter spinnt sich die Geschichte, bis jeder im Publikum Teil des Verbrechens wurde – selbst Chinesen, ein Geist, eine stumme Frau und eine Kuh. War der erste Teil von 1001 Nacht vor allem im Grenzgebiet des Dramas angesiedelt, wird der Film nun zu einer absurden Farce über Dummheit und Gier. Und eben Verzweiflung.

Fehlte diesen zwei Abschnitten noch die emotionale Gewalt des Vorgängers, darf diese im dritten zumindest teilweise wieder zurückkehren. Dieses Mal ist es ein kleiner Hund, der im Mittelpunkt steht und der beim Vorbeilaufen einiges über die Bewohner einer Wohnanlage zu erzählen hat. Einige der Schicksale sind erneut eher komisch angelegt, andere dafür umso tragischer, setzen sich – wie die gesamte Trilogie – zu einem Querschnitt der Verlierer Portugals zusammen. Menschen, die auch plötzlich nicht mehr da sein können, ohne dass es einem groß auffällt.

Das ist erneut sehr sehenswert, auch wenn der Mittelteil nicht mehr ganz die Wirkung des Auftaktes erreicht. Dafür ist hier vieles dann doch zu distanziert, auch des stärker absurd-spöttischen Tonfalls wegen, die kunstvolle Vermischung von Dokumentarischem und Narrativen ging einem dort ein ganzes Stück mehr zu Herzen. Noch immer gelingt es Gomes, seine Empörung über die Zustände seines Heimatlandes auf das Publikum zu übertragen. Aber es ist eine stärker intellektualisierte und bearbeitete Empörung, als sie die rau-schlichten Geschichten zuvor mit sich brachten.



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Auch im zweiten Teil von „1001 Nacht“ verknüpft Miguel Gomes einen märchenhaften Rahmen mit wenig märchenhaften Schicksalen aus dem heutigen Portugal. Das ist erneut sehenswert, wenn auch aufgrund der distanziert-spöttischen Erzählungen weniger bewegend.