(„Lichtes Meer“ directed by Stefan Butzmühlen, 2015)
Endlich raus, die große, weite Welt erleben! Für Marek (Martin Sznur) ist die Vorstellung ein Traum, hat er sein bisheriges Leben doch auf dem eher beengten und wenig abwechslungsreichen Bauernhof seiner Eltern verbracht. Also heuert er als Praktikant auf einem Containerschiff an, will so noch ein bisschen was sehen, bevor er sich entscheidet, was die Zukunft bringen soll. Ohnehin ist er erst einmal schwer mit der Gegenwart beschäftigt, als er den attraktiven Matrosen Jean (Jules Sagot) kennen und lieben lernt. Doch so schön die gemeinsame Zeit auf dem Schiff auch ist, es kommt immer wieder zu Reibereien, auch weil sie recht unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie ein gemeinsames Leben aussehen könnte.
Ein junger Mann aus der Provinz, der das heimatliche Nest verlässt und sich prompt in einen anderen Mann verliebt, eigentlich sollte man da eine Coming-out-Geschichte erwarten, die davon handelt, wie jemand seine verwirrenden Gefühle einsortieren muss, die er so von zu Hause gar nicht kennt. Ist Lichtes Meer aber nicht. Schon vom ersten Moment, in dem Marek Jean sieht, ist sein Interesse offensichtlich, weder scheint er sich an dem Anblick zweier Männer beim Sex zu stören, noch daran, selbst dabei mitzumachen. Und auch während einer hinreißend unbeschwerten Tischfußballpartie, die am Anfang der Begegnung steht, gibt es keinen wirklichen Zweifel daran, dass sich da zwei getroffen haben.
Eine klare Angelegenheit ist der zweite Spielfilm von Stefan Butzmühlen, der auch das Drehbuch mitschrieb, deswegen aber nicht. Denn Zweifel kommen in Lichtes Meer durchaus auf, nur eben etwas später. Was will ich eigentlich von meinem Leben? Was erwarte ich von der Liebe? Wer will ich persönlich sein? Es sind typische Coming-of-Age-Fragen, die mit Mareks Reise einhergehen. Eine Reise, die eben nicht nur ins ferne Martinique führt, sondern auch in das Erwachsenenalter, und dabei so manchen Umweg nimmt.
Lichtes Meer ist dann auch immer wieder geprägt von eben diesem Gegensatz zwischen den Idealen und Sehnsüchten, die Marek mit an Bord nahm, und dem, was er anschließend dort fand. Denn ein bisschen idealistisch ist er schon, der junge Mann aus Vorpommern, verträumt sowieso. Dazu passt auch, dass der Film seine Geschichte oft durch Texte aus dem Off erzählt, Tagebucheinträge oder Nachrichten, die Marek schreibt. Dass Bilder und Ton oft aus zwei Welten zu stammen scheinen, in denen die raue Gischt und der schmucklose dokumentarisch angehauchte Alltag unter Deck auf Seemannslieder und Buchpassagen treffen, die Marek vorliest. Lichtes Meer, das ist dann eben auch die Geschichte des Versuchs, beide Welten zusammenzubringen, die Welt da draußen, die Welt da drinnen.
Spektakulär ist das natürlich weniger, bis auf einige Streitmomente bleibt auch das große Drama aus. Langweilig ist Lichtes Meer deshalb aber nicht, denn gerade diese Mischung aus Schmucklosem und Kunstvollen findet man eher selten. Genauso, dass es ein Film schafft, so viel nur durch Bilder und Stimmung auszudrücken, ohne die Protagonisten zu Wort kommen lassen zu müssen. Sehnsucht und Enttäuschung, Freiheitsliebe und Geborgenheit, Melancholie und Aufbruchsstimmung, Romantik und reiner Sex, die Suche nach sich selbst, die Suche nach dem anderen – während das Containerschiff über das Meer schippert, machen wir an vielen Stationen Halt, von denen für sich genommen keine etwas Neues bietet, die zusammen aber alle Teil des Lebens sind. Ein Leben, das man irgendwie kennt, gleichzeitig aber auch nicht.
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