Night on the Galactic Railroad
© 1985 Asahi Group/Herald Group/TAC

Night on the Galactic Railroad

(„Ginga Tetsudō no Yoru“ directed by Gisaburō Sugii, 1985)

Night on the Galactic RailroadIn der 120. Ausgabe unseres fortlaufenden Animationsspecials begeben wir uns auf eine Reise, die gleichzeitig zu den bekanntesten, aber auch seltsamsten der japanischen Literaturgeschichte zählt. Eine, die den Zuschauer von fremden Welten träumen lässt und dabei doch nah am Menschen bleibt.

Von einer glücklichen Kindheit kann Giovanni nur träumen. Der Vater ist weg, die Mutter krank, er selbst muss ständig arbeiten und wird zu allem Überfluss auch noch von seinen Mitschülern gehänselt. Als er eines Nachts auf einem Hügel liegt und die Sterne beobachtet, hört er ein eigenartiges Geräusch, welches sich als herannahender Zug herausstellt. Zusammen mit seinem besten Freund Campanella tritt er eine Reise quer durch die Milchstraße an, auf deren Weg die beiden den unterschiedlichsten Leuten begegnen und deren Lebensgeschichten hören.

Während der mit gerade einmal 37 Jahren verstorbene Autor Kenji Miyazawa (Das Leben des Budori Gusko, Goshu, der Cellist) in seiner Heimat zumindest nach seinem Tod zu einer Berühmtheit wurde, ist er hierzulande nur relativ wenigen ein Begriff. Bedauerlich ist das, ja, wenn auch nicht ganz verwunderlich. Denn auch wenn er eigentlich für Kinder schrieb, ihnen mit seinen Geschichten unter anderem moralischen Beistand geben wollte, sind sie doch kaum mit westlichen Pendants zu vergleichen, sind ruhiger, oftmals poetischer. Und sehr viel weniger eindeutig.

Das gilt dann auch für Night on the Galactic Railroad, die wohl bekannteste Animeadaption einer seiner Geschichten. Was es mit dieser Zugfahrt auf sich hat, wird erst relativ spät klar, gerade auch für ein jüngeres Publikum. Aber selbst wenn das Grundprinzip verstanden ist, bleiben viele Fragen offen, der Film voller Rätsel, die es zu lösen gilt. Dabei sind diese gar nicht mal handlungsbezogen. Vielmehr werden die beiden Reisenden bei jeder Begegnung, bei jedem Zwischenstopp mit neuen Konzepten konfrontiert, die mal philosophischer, mal religiöser Natur sind, etwa Fragen zur Natur des Glücks. Einen roten Faden sollte man unterwegs besser nicht suchen, die Geschichten ähneln sich zwar thematisch, bauen aber nicht aufeinander auf. Einige davon sind leichter zu durchschauen, andere auch durch den Einsatz von Symbolen deutlich verworrener, mitunter sogar sehr surreal.

Dass Night on the Galactic Railroad nicht unbedingt massentauglich ist, hängt aber auch mit der sehr gemächlichen Erzählweise zusammen. Von Anfang an lässt sich Regisseur Gisaburō Sugii viel Zeit, zeigt erst einmal die Landschaften und die Schule, bevor er sich langsam den Protagonisten nähert. Die Zugfahrt wiederum, also das eigentliche Herzstück, die beginnt erst nach rund einem Drittel des Films. Davor gibt es zwar viel Atmosphäre, eine düstere und melancholische Atmosphäre. Und eben die Figuren, ihre Beziehungen zueinander. Aber nur wenig Geschichte.

Bemerkenswert bei den Figuren ist übrigens, dass diese – mit wenigen Ausnahmen später – als Katzen dargestellt werden. Warum man sich hier von Miyazawas Vorlage löste, ist nicht ganz klar. Vielleicht sollte hierdurch die Kindertauglichkeit noch weiter erhöht werden. Nötig wäre es nicht gewesen, unpassend ist die Änderung jedoch nicht, trägt sie doch auch zu der traumartigen Atmosphäre bei, in der vieles nicht so ganz stimmt, bei dem die Grenzen von Moment zu Moment, von Ort zu Ort fließend sind. Ansonsten ist die visuelle Arbeit des Animationsstudios Group TAC, die später auch die Miyazawa-Biografie Spring and Chaos umsetzen, eher unauffällig. Hin und wieder, in den besonders surrealen Momenten, setzt der Anime ein Ausrufezeichen. Ansonsten aber bekommen wir größtenteils nur das schmucklose und dunkle Zugabteil zu sehen. Man muss sich deshalb schon darauf einlassen können, auf diese Mischung aus Fantastik und Nüchternheit, aus kindlicher Präsentation und düsteren Stoffen. Und man sollte Importen nicht abgeneigt sein. Immerhin: Das lange nur antiquarisch und zu Mondpreisen erhältliche Night on the Galactic Railroad wurde letztes Jahr in den USA auf DVD und Blu-ray neu aufgelegt und ist jetzt recht günstig zu bekommen, was sich Freunde ungewöhnlicher Animes nicht entgehen lassen sollten.



(Anzeige)

Auf den ersten Blick ist das nur von Katzen bevölkerte „Night on the Galactic Railroad“ ein reiner Kinderanime. Doch nicht nur die düstere und melancholische Atmosphäre, sondern auch der Hang zum Surrealen und die vielen existenziellen Überlegungen machen den Film zu einer ganz eigenen, lohnenswerten Erfahrung – sofern man mit dem sehr langsamen Tempo leben kann.
8
von 10