(„Swiss Army Man“ directed by Daniel Kwan and Daniel Scheinert, 2016)
Wie lange Hank (Paul Dano) bereits auf der einsamen Insel ist, weiß er schon gar nicht mehr. Er weiß nur, dass es zu lange ist. Doch genau in dem Moment, in dem er seinem Leben ein Ende setzen will, taucht ein junger Mann (Daniel Radcliffe) am Strand auf. Schade nur, dass der potenzielle Zeitgenosse längst das Zeitliche gesegnet hat. Und für eine Leiche hat Hank dann doch keine Verwendung. Dachte er zumindest. Dann jedoch stellt er fest, dass in dem verwesenden Körper noch mehr steckt und dieser vielleicht sogar eine Möglichkeit darstellt, doch noch nach Hause zu kommen.
Eröffnungsfilme bei Festivals, das ist immer so eine Sache, ganz besonders wenn wie beim Fantasy Filmfest ein sehr spezielles Publikum angesprochen werden soll. Nehme ich einen Crowd Pleaser, um die Zuschauer in Stimmung zu bringen? Oder wage ich etwas Ungewöhnliches, um dem Jahrgang ein eigenes Gesicht zu geben? Nachdem 2013 der hochgelobte, aber eben doch nur bedingt zugängliche Sci-Fi-Animationsfilm The Congress so manchem die Lust an weiteren Filmen nahm, waren in den beiden Folgejahren das düstere Endzeitabenteuer The Rover und die schwarze Musikbusiness-Komödie Kill Your Friends deutlich bekömmlicher. Aber eben auch deutlich austauschbarer.
Austauschbar, das darf man vorab verraten, ist Swiss Army Man nicht. Das ist aber auch mehr oder weniger das einzige, was man über den Film verraten sollte, der sich so gar nicht an das Lehrbuch des guten Filmemachens hält. Oder Erwartungen. Eigentlich dürfte das auch gar nicht so funktionieren, wie das Regie- und Drehbuchduo Daniel Kwan und Daniel Scheinert, welches hier sein Spielfilmdebüt gibt, Realität und Fantasie vermischt, das Komische mit dem Traurigen, derbe Szenen, für die sich selbst aktuelle Hollywoodkomödien noch schämen würden, mit solchen, die wunderschön sind, einen von einem besseren Leben träumen lassen. Oder einem auch urplötzlich das Herz rausreißen, als wäre es das Natürlichste auf der Welt.
Aber was heißt schon natürlich? Ist es natürlich, nicht das sagen zu dürfen, was man sagen möchte? Ist es natürlich, sich jeden Furz verkneifen zu müssen? Das Alltägliche und das Besondere, das liegt in Swiss Army Man so eng beieinander, springt vom einen zum anderen, bis man selbst nicht mehr so genau weiß, was was ist. Oder anders gesagt: Wo bei vielen Komödien unangenehme Körperfunktionen nur zum Zweck da sind, durch vermeintliche Tabubrüche das Publikum zum Lachen zu bringen, nehmen Kwan und Scheinert diese zum Anlass, ein bisschen tiefer hineinzuschauen in den Menschen. Und schaffen auf diese Weise das Kunststück, auf groteske Weise die Grenzen zwischen billig und tiefsinnig aufzuheben, wie ein Kind alles infrage zu stellen, was uns zu glauben beigebracht wurde. Mehr noch: Gerade weil sie auf so seltsamen und unerwarteten Wegen zum Punkt kommen, sich zwischenzeitlich auch mal verlaufen und nicht vom Fleck kommen, treffen die beiden einen sehr viel härter, als es viele zielstrebige Dramen tun, die vor lauter Geschichte den Menschen vergessen.
Dass dies so wunderbar funktioniert, liegt auch an den zwei Hauptdarstellern, die sich selbst furchtlos in das cineastische Abenteuer werfen, vor nichts zurückschrecken, vor keiner Peinlichkeit, vor keiner Hässlichkeit. Denn auch das lehrt uns Swiss Army Man: Diese Hässlichkeit gibt es gar nicht. Es braucht nur einen Menschen, der dich sieht für das, was du bist. Der das Schöne in dir sieht. Selbst wenn dieser Mensch ein Toter ist. Nein, ein Film für jeden ist das trotz allem nicht, auch wenn sich viele in der Odyssee wiederfinden dürften, der im Titel bezeichnete Allzweckmann auch tatsächlich in den meisten von uns stecken dürfte. Aber es ist ein von wunderschöner Musik begleitetes Ausnahmewerk, das sich niemand entgehen lassen darf, der genug von den tagtäglichen Konstrukten hat, die einem auf dem Lebensweg begegnen – innerhalb wie außerhalb des Kinos.
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