(„Under the Shadow“ directed by Babak Anvari, 2016)
Shideh (Narges Rashidi) hat es derzeit wirklich nicht einfach im Leben. Nicht nur, dass sie aufgrund ihrer liberalen Ansichten während der Islamischen Revolution ihr Medizinstudium nicht wieder aufnehmen kann und ihre Rechte als Frau stark eingeschränkt sind, ständig muss sie um ihr Leben sowie das ihrer Familie zittern, denn der Erste Golfkrieg zwischen dem Iran und Irak tobt noch immer. Gerüchten zufolge soll sogar ein Angriff auf Teheran geplant sein. Als dann auch noch ihr Mann Iraj (Bobby Naderi) eingezogen wird und sie sich allein um die gemeinsame Tochter Dorsa (Avin Manshadi) kümmern muss, kann es nicht schlimmer kommen – dachte sie. Bis ihr Appartementhaus von einer Rakete getroffen wird und im Anschluss seltsame Dinge darin vorgehen.
Einen Horrorfilm zu drehen, ist gleichzeitig eine dankbare und undankbare Aufgabe. Dankbar, weil dieses Genre wie wohl kaum ein anderes eine treue Fangemeinde hinter sich weiß, welches einem selbst bei niedrigen Budgets und ohne große Stars die Stange hält. Undankbar, weil es in diesem überlaufenen Feld schwierig ist, noch eigene Akzente zu setzen. Auf wie viele Weisen lassen sich noch knarrende Dielen, vorbeihuschende Schatten oder sich unerklärlich öffnende Türen schon inszenieren?
Regisseur und Drehbuchautor Babak Anvari erfindet bei Under the Shadow das Rad dann auch nicht neu, viele der Szenen hat man in der einen oder anderen Form dann doch schon in anderen Haunted-House-Streifen gesehen. Zwei Dinge sind es jedoch, die sein Spielfilmdebüt von der breiten Konkurrenz abheben, ihn sogar zu einem der interessantesten Genrevertreter der letzten Zeit machen. Da wäre zunächst einmal das unverbrauchte Szenario. Sicher, gehört hat jeder schon einmal von dem Iran-Irak-Krieg, der von 1980 bis 1988 andauerte und in beiden Ländern Hunderttausenden das Leben gekostet hat. Doch was das letztendlich bedeutet, das wird nur wenigen wirklich bewusst sein.
Under the Shadow selbst spielt gegen Ende dieses Krieges, Aufenthalte im Bombenkeller und Explosionen sind so sehr zum Alltag geworden, dass sie den Menschen kaum mehr auffallen. Anders als viele Kollegen, in denen Haus und Umgebung eigentlich recht idyllisch sind, bevor das Böse auftaucht, ist hier die Lage von vornherein angespannt. Anvari muss also gar nicht mehr viel tun, um die Nerven des Publikums zu bearbeiten, das geschieht quasi von allein, wenn jeder Moment des Alltags schon dein letzter sein könnte.
Interessant ist dabei aber, wie der Film dieses Szenario nicht einfach nur als Gimmick verwendet, sondern gleichzeitig auch das Leben im Iran der 80er Jahre beleuchtet, speziell jenes der Frauen. Wenn Shideh heimlich zu Jane-Fonda-Videos Aerobic macht, mit ihrem konservativen Umfeld aneinandergerät oder sich auch mit Iraj zofft, der ganz gern über seine Gattin bestimmen würde, dann wird Under the Shadow gleichzeitig zu einem spannenden und auch gut gespielten Familiendrama sowie Zeitporträt, das den Horrorteil überhaupt nicht gebraucht hätte. Nachteil: Wer den Beitrag vom Fantasy Filmfest 2016 allein der unheimlichen Ereignisse wegen schauen wollte, der muss hier erst einmal eine ganze Weile warten, bis es losgeht. So lange sogar, dass man sich zunächst gar nicht sicher ist, ob der Film beim berühmten Genrefestival überhaupt richtig ist.
Die Geduld wird später dafür aber umso mehr belohnt, die Antwort fällt eindeutig bejahend aus: Auch wenn die Effekte wie zu erwarten eher wenig spektakulär sind und die ganz großen Überraschungen ausbleiben, ist es doch bemerkenswert wie stilsicher das Spielfilmdebüt des Iraners geworden ist, wie sehr einen schon die Szenen mitnehmen, in denen eigentlich gar nichts passiert, Spannung nur aufgrund der Situation und der zunehmenden Konflikte zwischen Mutter und Tochter generiert werden. Schade daher, dass Under the Shadow, der dieses Jahr beim FFF auch um den Fresh Blood Award wetteifert, noch keinen deutschen Verleih gefunden hat. Wer klassische Grusel-Horrorfilme mag, vielleicht auch das vergleichbar psychologisch geprägte Der Babadook, sollte sich daher die Chance nicht entgehen lassen, den Film beim Festival noch zu sehen.
(Anzeige)