(„Arrugas“ directed by Ignacio Ferreras, 2011)
Und wir bleiben beim Thema Gedächtnis: Während wir letzte Woche in Kaiba eine Zukunft erleben durften, in der Erinnerungen zu einer frei tauschbaren Ware geworden sind, steht im 119. Teil unseres fortlaufenden Animationsspecials das Vergessen im Mittelpunkt. Der Tod. Und der Kampf um die eigene Würde.
Früher, da war Emilio ein erfolgreicher Bankmanager, geachtet, seriös, diszipliniert. Heute ist davon nur noch wenig übriggeblieben, seitdem ihn eine beginnende Alzheimer-Erkrankung Erinnerungen raubt. Sein Sohn ist es, der ihm den Alltag abnimmt, so gut er kann. Bis es aber auch ihm zu viel wird und er seinen Vater in ein Seniorenheim gibt. Emilio ist darüber nur wenig erfreut, schafft es aber recht bald, sich an die neue Situation zu gewöhnen – auch dank der Hilfe seines Zimmernachbarn Miguel, der sich sehr gut an das etwas andere Leben im Heim angepasst hat.
Wenn von einem Animationsfilm gesagt wird, er wäre für Erwachsene, dann bedeutet das meistens Sex und/oder Gewalt. Bei Wrinkles ist das anders, allein schon deshalb, weil viele der Protagonisten zu beidem nicht mehr in der Lage wären – weder geistig noch körperlich. Harmlos ist die Adaption der gleichnamigen Graphic Novel von Paco Roca jedoch nicht, wird hier das Publikum doch mit dem Altwerden konfrontiert, den Gebrechen, die damit einhergehen. Vor allem aber mit dem allmählichen Verlust des Gedächtnisses und der eigenen Persönlichkeit.
Nun wurde das Thema Demenz passend zu einer immer älter werdenden Bevölkerung in den letzten Jahren schon des Öfteren aufgegriffen, zuletzt etwa im oscargekrönten Still Alice. Aber auch in diesem Umfeld sticht Wrinkles ziemlich hervor, selbst wenn man den Aspekt des Zeichentricks völlig außen vor lässt. Da wäre zum einen der Humor. Miguel, der aus dem geistigen Verfall seiner Mitbewohner ein einträgliches Geschäft gemacht hat, bringt einen durch seine pure Dreistigkeit und seine zynischen Kommentare ebenso zum Lachen wie es die diversen absurden Situationen tun, in welche die Senioren beim täglichen Miteinander geraten.
Bemerkenswert ist aber auch, dass wir hier – anders als bei vielen anderen Demenz-Filmen – nicht die Position des reinen Beobachters einnehmen. Die Menschen in Wrinkles mögen alt sein, vieles von ihrem Drumherum nicht mehr richtig wahrnehmen. Doch in innen drin entdecken wir eine Welt voller Fantasie und schöner Bilder, aufregender Erfahrungen und großer Träume. Dass dieses Innenleben so wenig mit der Realität im Altersheim gemeinsam hat, ist gleichzeitig bitter und witzig, vor allem aber unglaublich rührend, so wie der Film gerade auch zum Ende hin einiges dafür tut, dass einem das Herz aufgeht.
Aber auch dafür, dass einem das Herz zerreißt. Man sollte sich nicht von der eher schlichten Optik mit den warmen Farben blenden lassen, von den humorvollen Einlagen und Fantastereien – der spanische Film verschönert nichts, erzählt ungeschminkt davon, was es heißt, mit dem Alter immer mehr zu zerfallen, langsam vor den Augen der Angehörigen zu verschwinden. Exemplarisch wird das an Emilio gezeigt. Eine richtige Handlung gibt es hierbei nicht, vielmehr lauter Einzelepisoden, die manchmal vorheriges aufgreifen, manchmal aber auch nicht. Nur die zunehmende Vergesslichkeit der Hauptfigur zeigt einen tatsächlichen Fortlauf der Geschichte. Schön dabei ist, dass Wrinkles noch nicht einmal große Dramen braucht, um den Zuschauer zu packen, es sind die kleine Momente, die einem die Alten und ihre jeweiligen Schicksale näherbringen. Freunde ungewöhnlicher, erwachsener Animationsfilme sollten dem leider nie auf Deutsch erschienenen Werk deshalb eine Chance geben, aber auch Freunde leiser, persönlicher Geschichten finden hier einen unglaublich liebenswürdigen Film, der menschlicher ist als viele seiner „realer“ Kollegen.
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