(„Skammerens datter“ directed by Kenneth Kainz, 2015)
Dina (Rebecca Emilie Sattrup) und ihre Mutter Melussina (Maria Bonnevie) entstammen einer nicht ganz alltäglichen Familie, als sogenannte „Beschämer“ haben sie die seltene Gabe, ihren Mitbürgern tief in die Seele zu schauen, dort alle Verbrechen und Missetaten zu sehen, für die sich diejenige Person schämt. Und eben diese Gabe sollen sie zum Wohl des Volkes einsetzen: Nicodemus (Jakob Oftebro), der Thronfolger des Königreichs, soll seinen Vater heimtückisch ermordet haben, bestreitet aber vehement, für dessen Tod verantwortlich zu sein. Dabei sprechen die Indizien eindeutig gegen ihn. Und vor allem Cousin Drakan (Peter Plaugborg) drängt darauf, dass der Schuldige endlich seine gerechte Strafe enthält.
Ein Fantasyabenteuer aus Dänemark? Das dürfte bei einigen Zuschauern Neugierde wecken, bei anderen böse Vorahnungen. Nicht, dass es unserem nordischen Nachbarn an spannenden und fantasievollen Geschichten mangeln würde, an düsteren schon mal gar nicht. Nur ist das Fantasygenre wie kaum ein anderes auf ein anständiges Budget angewiesen, sonst werden Fabelwesen und magische Momente schnell zu einer unfreiwilligen Lachnummer. Da kann sich Die Hüterin der Wahrheit noch so sehr damit brüsten, eine der teuersten dänischen Produktionen zu sein und auf einer bekannten Romanvorlage zu basieren – wobei hinter Letzteres ein Fragezeichen gehört, hierzulande wird kaum einer die Bücher von Lene Kaaberbøl kennen –, dem hiesigen Publikum ist das egal, ist man aus Hollywoods einfach deutlich größere Bombastspektakel gewohnt.
Ganz passend wäre der Vergleich zu Herr der Ringe oder Game of Thrones aber ohnehin nicht, auch wenn dieser in den beigefügten Interviews bemüht wird. Ja, hier gibt es Drachen, ja, hier wird gekämpft. Beides aber steht nicht so wahnsinnig im Vordergrund, vielmehr konzentriert sich der Film stärker auf seine junge Protagonistin und ihren Kampf um die Wahrheit, aber auch ihren Kampf damit, anders zu sein als ihre Altersgenossen. Nicht nur aufgrund der fein abgestimmten Identifikationsfigur ist Die Hüterin der Wahrheit eher für ein jugendliches Publikum ausgelegt: Die Geschichte ist recht einfach gehalten, es gibt keine großen und verwirrenden Wendungen, die Charaktere sind größtenteils klar in gut oder böse unterteilt, damit jeder weiß, an wen er sich zu halten hat. Und das auch von Anfang an.
Harmlos ist die dänische Produktion deswegen aber noch nicht. Eigentlich ist es sogar erstaunlich, wie düster der Film zuweilen wird. Da wird gemeuchelt und intrigiert, es gibt Hinrichtungen und Ehebruch, eigentlich darf man niemandem am Königshof wirklich trauen. Zwar wird das Ganze nie explizit gezeigt, zu jung sollte das Publikum aber auch nicht sein, um hier keine Traumata davonzutragen. Passend zu der trüben Stimmung besteht Die Hüterin der Wahrheit aus durchwegs trüben Kulissen, die einem die finsteren Ecken des Mittelalters näherbringen: Verliese, Höhlen, alles ist eng, dreckig. Und selbst wenn wir mal im Freien unterwegs sind, ein schöner Anblick ist das nur selten, nicht einmal die Natur weckt in einem hier Freudenstimmung. Dafür gibt es auch einfach zu wenig Farben, zu wenig Licht.
Interessanter als die stimmungsvolle, wenngleich wenig distinkte Reise in eine Pseudovergangenheit ist aber das Konzept des Beschämens selbst. Zwar wird diese Fähigkeit vergleichsweise sparsam eingesetzt, dafür dann aber effektiv, Die Hüterin der Wahrheit zeigt, dass man auch ohne großes Budget schöne Fantasymomente kreieren kann. Weniger schön wird es, wenn man sich in klassischere Gefilde begibt, etwa beim turbulenten Ende, da hier die Möglichkeiten dann doch zu begrenzt sind, man da einfach nicht über Mittelmaß hinauskommt. Dass anschließend zudem einige Fragen offenbleiben, sich einem das Gefühl aufdrängt, dass den Machern bei gerade mal anderthalb Stunden Laufzeit einfach der Rahmen gefehlt hat, schmälert ebenfalls das Vergnügen ein wenig. Immerhin lässt einen das aber darauf hoffen, dass noch mehr Adaptionen der mehrbändigen Buchreihe folgen werden.
(Anzeige)