(„The Plague Dogs“ directed by Martin Rosen, 1982)
Leben und Tod? Das hatten wir in den letzten Ausgaben unseres fortlaufenden Animationsspecials recht regelmäßig als Thema gehabt. Für Teil 125 gilt das auch. Allerdings wird dort das Leben so sehr in Richtung Tod getrieben, dass einer der härtesten und schockierendsten Zeichentrickfilme überhaupt dabei rauskam.
Ein kleiner unachtsamer Moment, eine nicht wirklich geschlossene Käfigtür – das ist alles, was den Labrador Wuff von der Freiheit trennt. Immer wieder wurden an ihm in der Tierversuchsklinik Experimente ausgeübt, die beinahe mit seinem Tod geendet hätten. Seinem Freund, dem Foxterrier Snitter, erging es zeitgleich nicht viel besser: Bei ihm war es das Gehirn, welches im Labor operiert wurde und dazu führte, dass er immer wieder seltsame Bilder sieht und ein komisches Summen hört. Gemeinsam nutzen sie die nächtliche Fluchtmöglichkeit, um in die Freiheit zu entkommen. Doch es ist nicht das erwartete Paradies, welches sie dort finden: Während ihrer langen Gefangenschaft haben sie verlernt, in der Natur zu überleben. Als sie zudem anfangen, Schafe zu reißen, ist bald die gesamte lokale Bevölkerung hinter ihnen her, allen voran die Klinik, die vertuschen will, was sie mit den Hunden zuvor angestellt hat.
Regisseur Martin Rosen und Romanautor Richard Adams, das war im Bereich des Zeichentricks ein absolutes Traumteam. Oder besser: ein Alptraumteam. So manches Kind dürfte von dem 1978 erschienenen Unten am Fluss tief traumatisiert worden sein, welches die süßen Hasen auf dem Cover in die Hölle schickte. Das im Vergleich weniger bekannte Die Hunde sind los, das vier Jahre später folgte, steht dem Klassiker in der Hinsicht nicht nach. Es ist eigentlich sogar der schlimmere von beiden Filmen, denn auch wenn beide Werke viele Gemeinsamkeiten haben – ein tierisches Abenteuer, Bedrohung durch die Menschen, Brutalität – die Flucht von Wuff und Snitter bietet wenig Anlass für Hoffnung, ist von einer derart nihilistischen Grausamkeit geprägt, wie sie zumindest im westlichen Zeichentrickfilm einmalig sein dürfte.
Dieses Mal geht diese Grausamkeit in erster Linie von den Menschen aus, welche das Tierduo zunächst im Labor auf unwürdige Weise quält, sie anschließend aber auch in der Freiheit bestrafen will, ausgerechnet für die Taten, welche die Forscher selbst zu verantworten haben. Und doch sind es eben die Tiere, die hier im Mittelpunkt stehen. Die Menschen sind zwar oft zu hören, als Stimmen aus dem Off, erscheinen den beiden aber meist nur als Schatten, von hinten oder von unten angeschnitten. Anders als viele Zeichentrickfilme, in denen Tiere die Hauptrolle spielen, wurden die Protagonisten hier auch nicht vermenschlicht. Sieht man einmal davon ab, dass sie alle miteinander sprechen können, auch über die Tierarten hinweg, sind sie sehr realistisch gestaltet, sowohl auf das Aussehen wie auch ihr Verhalten bezogen.
Und das gilt dann auch für den Rest von Die Hunde sind los. Die surrealen Tendenzen, die Unten am Fluss zuweilen hatte, wurden hier stark reduziert. Nur im Kopf von Snitter, der seit den Experimenten nicht mehr so funktioniert, wie er soll, wird die Wirklichkeit an manchen Stellen durch Erinnerungen, Träume oder Visionen verändert. Das Ergebnis ist teils traurig, wenn er einem Paradies hinterherjagt, von dem wir wissen, dass es keine Realität mehr werden wird. Teils ist es verstörend bis schockierend, so wie vieles an dem Film. Mehr noch als das Buch, welches gerade zum Ende hin versöhnlichere Töne anschlägt, ist das Zeichentrickwerk eine Aneinanderreihung von Fehlschlägen, selbst die kleinen Hoffnungsschimmer werden schnell in Dreck und Blut getränkt.
Freundschaft und Mut, das sind klassische Tugenden, wie sie in solchen Filmen oft propagiert werden. Die Hunde sind los tut das auch, so meint man zumindest, nur um am Ende die Protagonisten dafür zu bestrafen. Und die Zuschauer gleich mit. Ob die Romanadaption überhaupt noch für Kinder geeignet ist, darüber lässt sich dann auch streiten, trotz der vielen Kürzungen, welche der Film ertragen musste – Interessierte greifen deshalb auch lieber gleich zum 17 Minuten längeren UK-Import – ist die Atmosphäre so bedrückend, das Schicksal so ergreifend, dass es nahezu unmöglich ist, danach zur Tagesordnung überzugehen. Vorzuwerfen wäre dem Film an der Stelle allenfalls, dass er keine rechte Geschichte mit einem erkennbaren Ziel erzählt, sondern wie die Hunde umherirrt, auf der Suche nach Schutz und Rettung. Mittendrin lässt die Spannungskurve deshalb immer mal wieder etwas nach, wenn es eigentlich gar nicht mehr vorangeht. Durchgängig gleichbleibend ist dafür aber die visuelle Qualität: Die Hunde sind los besteht aus gemäldeartigen, naturalistischen Bildern, wie man sie auch eingerahmt früher in manchem Wohnzimmer finden durfte. Nur dass man hier manchmal gar nicht so genau hinschauen mag, denn in der heimeligen Landschaft Nordenglands wartet der Tod hinter jedem Busch, jedem Stein, jedem Wasser.
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