(„Ginga tetsudō 999“ directed by Rintaro, 1979)
Der 122. Teil unseres fortlaufenden Animationsspecials ist einem Künstler gewidmet, der zu den ganz großen Geschichtenerzählern seines Faches gehört, auch wenn er hierzulande nie wirklich bekannt wurde. Seit Jahrzehnten schon sind Leiji Matsumotos Mangas und Animes untrennbar mit dem japanischen Science-Fiction-Genre verbunden, haben Publikum wie Kollegen auf fantastische Reisen mitgenommen.
Einen unzerstörbaren mechanischen Körper will der 10-jährige Tetsuro haben, um nie wieder die Unzulänglichkeiten des menschlichen Daseins erleben zu müssen, zu frieren, Schmerzen zu haben. Um ewig leben zu können. Aber auch um sich an Count Mecha zu rächen, der seine Mutter einst tötete und als bloße Trophäe seiner Menschenjagd ansah. Und der Junge weiß auch schon, wie er das anstellen will, werden diese künstlichen Körper doch gratis in der Andromeda-Galaxie verteilt. Nur ist diese sehr weit weg. Zwar steuert der Galaxy Express 999 auch diese an, was allerdings nur für die Reichen eine Option ist, die sich ein derart teures Ticket leisten können. Als Tetsuro der mysteriösen Maetel begegnet, scheint sich sein Glück zu wenden, denn die hübsche junge Frau, die seiner Mutter zum Verwechseln ähnlich sieht, bietet ihm an, ihn mitzunehmen. Unter einer Voraussetzung: Er muss sie auf ihrer Reise durch den Weltraum begleiten.
Anime-Serien aus den 1970ern haben oft ihre eigenen Filmversionen bekommen, die in ein bis zwei Stunden das zusammenfassten, was sonst in vielen, vielen Episoden erzählt wurde – siehe Sindbad, siehe Heidi. Bei Galaxy Express 999 ist das ein klein wenig anders. Zwar wird auch hier das Geschehen der Serie wiedergegeben, dies aber noch, bevor Letztere überhaupt abgeschlossen war und auch mit einem anderen Ende. Selbst die Begegnung mit Count Mecha wurde umgeschrieben. Eine reine Compilation ist das 1979 entstandene Werk damit nicht, eher eine gute Alternative zur Serie, die es zwischen 1978 und 1981 auf stattliche 113 Folgen brachte und damit das längste Animewerk von Leiji Matsumoto wurde.
Bei einer derart starken Konzentration ist es unvermeidlich, dass vieles auf der Strecke blieb, was die Serie auszeichnete, obwohl in beiden Fällen Rintarô (Robotic Angel, Final Fantasy: Legend of the Crystals) Regie führte. Lebte die Langfassung dadurch, dass praktisch jede Folge auf einem neuen Planeten Halt machte, neue Charaktere und Szenarien einführte, sind im Film nur noch Ansätze davon zu spüren, die Stationen zwangsläufig sehr viel weniger zahlreich. Mangelnde Abwechslung wird man aber auch in der Zweistundenfassung nicht beklagen können, ob der Start auf der Erde, die Episode auf dem eisigen Pluto oder der Wüstenabschnitt, in Galaxy Express 999 gibt es eine Menge zu sehen und zu erleben. Technisch darf man sich von einem Anime der späten 1970er natürlich keine Wunderwerke erwarten, die Effekte des Traditionsstudios Toei Animation (Goldorak – Kampf der Welten, Horus, Prince of the Sun) sind eher spärlich, die Animationen auch. Dafür sind die fremdartigen, fast surrealen Hintergründe auch mehrere Jahrzehnte später zeitlos, so wie der Film an sich aus der Zeit gefallen scheint.
Es sind aber nicht nur die Szenerien, welche Galaxy Express 999 auszeichnen, sondern gerade auch der Inhalt. Nachdenklich ist der Anime, der sich Themen wie Unsterblichkeit und dem Wesen des Menschseins zuwendet. Nachdenklich und melancholisch: Jeder Handlungsstrang hat mit Verlust zu tun, dem Verlust von anderen, der Verlust von sich selbst. Gerade auch das Schicksal der aus Glas gefertigten Claire, welche in dem intergalaktischen Zug bedient, oder der Besuch des Plutos sind bewegender, als es viele spezialisierte Animedramen sind. Nachteilig ist nur, dass die Filmversion nicht ganz rund ist, zu viele Elemente hineingepackt werden mussten, welche den Anime immer wieder aus dem Gleichgewicht bringen. So werden sich Fans von Matsumoto sicher darüber freuen, dass es hier diverse Gastauftritte seiner anderen Werke wie Captain Harlock oder Queen Emeraldas gibt. Aufgrund der trotz allem aber zu kurzen Laufzeit ist Galaxy Express 999 zuweilen aber überladen, gibt Figuren wie Konzepten nicht die Zeit, sich natürlich zu entwickeln. Einen Vorteil hat der Film jedoch: Er ist relativ problemlos zu bekommen. Anders als die Serie, die es nur auf Italienisch und zu hohen Preisen komplett zu kaufen gibt, ist diese Version hier immerhin auch als USA- und Frankreich zu bekommen, für wenig Geld auch noch. Wessen Herz also für die eher fantastisch ausgelegten Science-Fiction-Geschichten schlägt, beispielsweise Captain Future mochte, der wird auch die Begleitung von Testuro und Maetel zu schätzen wissen. Denn Vergleichbares wird man in der heutigen Animewelt vergeblich suchen.
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