(„Gankutsuō“ directed by Mahiro Maeda, 2004)
Eine düstere Romanvorlage visuell hervorragend umgesetzt, das eint Die Hunde sind los von letzter Woche und den 126. Teil unseres fortlaufenden Animationsspecials. Ansonsten aber sind die beiden Werke kaum miteinander vergleichbar, so wie man sich bei der heutigen Serie allgemein schwer tun wird, etwas Vergleichbares aufzutreiben. Und das, obwohl die Geschichte seit 170 Jahren bekannt ist.
Der junge Adlige Albert de Morcerf und dessen bester Freund Franz d’Épinay machen sich gemeinsam auf den Weg nach Luna, um an den berühmten Festlichkeiten dort teilzunehmen. Es ist aber weniger das rauschende Fest, welches Albert in Erinnerung bleibt, sondern der Graf von Monte Cristo, dessen Eloquenz und Kultiviertheit ihn schnell in den Bann zieht. Er würde ihn bald in Paris besuchen, verspricht der mysteriöse Fremde. Ein Versprechen, dass er auch tatsächlich einlöst. Als der Graf in seiner neuen Heimat schnell Zugang zu den reichsten und mächtigsten Familien erhält, würden sich jedoch einige wünschen, dass die Begegnung nie stattgefunden hat, verfolgt der Neuankömmling doch ganz eigene, ausgesprochen finstere Pläne.
Animeadaptionen berühmter westlicher Romane, das hat eine jahrzehntelange Tradition. Während sich die Beiträge der Reihe World Masterpiece Theater wie etwa Heidi oder Anne mit den roten Haaren eng an die literarischen Vorlagen hielten, gingen Werke wie Die Abenteuer des Sherlock Holmes oder Alice im Wunderland deutlich freier mit diesen um. Keine Neuverfilmung war aber wohl ähnlich kühn wie Gankutsuou: The Count of Monte Cristo, welches auf dem Klassiker von Alexandre Dumas basiert, diesen aber in so vielen Bereichen abändert, dass er teils kaum noch zu erkennen ist. Struktur, Inhalt, Szenario, überall wurde fleißig gefeilt, umrangiert, neu kreiert.
Dass der Anime anders sein würde, sehr anders, das wird hier in den ersten Sekunden schon klar. Und auf den ersten Blick: Regisseur Mahiro Maeda und Animationsstudio Gonzo, welche gemeinsam zuvor schon Blue Submarine No. 6 und Final Fantasy: Unlimited realisiert hatten, wählten hier einen recht kuriosen Weg, die bekannte Geschichte auf den Bildschirm zu bringen. Die Kombination von klassischem Zeichentrick und Computerelementen, die war Mitte der 00er Jahre bei Gonzo gang und gäbe. Was bei den anderen Werken jedoch ein aus heutiger Sicht nur schwer zumutbarer optischer Kompromiss war, wurde hier zum Kunstprinzip erklärt. Während die Figuren selbst gezeichnet sind und auch die Hautfarbe normal koloriert wurde, bestehen Kleidung und Haare aus berechneten Texturen, die einfach darüber gelegt wurden. Das passt natürlich nicht zusammen, soll es hier aber auch gar nicht: Wenn sich der Körper in mehrere voneinander unabhängig bewegende Partien aufteilt, dann gibt das dem Anime ein sehr fremdartiges, unwirkliches Gesicht. Aber auch die ungewöhnliche, sehr experimentierfreudige Weise, wie mit Farben umgegangen wird, sucht seinesgleichen. Am ehesten ist Gankutsuou noch mit Mononoke zu vergleichen, das ähnlich surreal-psychedelisch mit düsteren Stoffen umgeht. Während der Animekollege jedoch immer aus einem Guss ist, will man hier den Kontrast, sodass nicht einmal die sehr schlichten Hintergründe negativ hervorstechen. Denn das ist alles Teil des Plans.
Aber auch die Geschichte blieb bei den Japanern nicht unangetastet. Beispielsweise wird Gankutsuou nicht chronologisch erzählt, sondern beginnt mit der Begegnung der beiden Männer. Die findet im Buch jedoch erst relativ spät statt, so wie Albert dort eigentlich keine große Rolle spielt. Hier rückt er nun in den Mittelpunkt, das finstere Treiben des Grafen wird aus den Augen eines naiven Jünglings wahrgenommen, der zu entrückt von der Realität des Volkes aufgewachsen ist, um das Geschehen rechtzeitig einordnen zu können. Die Vorgeschichte des Treffens, die Motivation des Fremden, die wird erst später und in Rückblenden erzählt. Was im Roman noch gradlinig war, wird nun zu einem Mysterium, schließlich wissen die Einwohner von Paris ebenso wie der Zuschauer erst einmal nicht, um was es hier eigentlich wirklich geht. Welche Absichten der Fremde verfolgt.
Dass diese nicht gut sein können, auch das verrät die Optik bereits: Mit seinen Fangzähnen und der bläulichen Haut erinnert der Graf an einen Vampir, allein deshalb schon dringt Gankutsuou in unerwartete Horrorsphären vor. Aber auch Science-Fiction-Elemente sind in dem ins Jahr 5053 verlegten Anime an jeder Ecke und Ende zu finden. Da wird mit Raumschiffen von Planet zu Planet geflogen, riesige Hologramme vermitteln Informationen, auch auf Mechas müssen Fans japanischer Animationskunst nicht verzichten. Gleichzeitig hängen altmodische Gemälde an den Wänden, sind Gebrauchsgegenstände unnötig verziert, auf den Straßen fahren Oldtimer herum. Das hängt auch mit der Entstehungsgeschichte zusammen: Eigentlich hatte Maeda hier auch einen Roman des Science-Fiction-Autors Alfred Bester umsetzen wollen. Nachdem er hierfür jedoch keine Rechte bekam, entschloss er sich, die thematisch ähnliche Geschichte Dumas zu nehmen und in die Zukunft zu versetzen, Altes und Neues einfach zu vereinen. Heraus kam ein inhaltlicher Mischmasch, der ohne Rücksicht auf Verluste widersprüchliche Konzepte kombiniert und einen immer wieder ungläubig auf die farbenfrohen Bilder starren lässt.
Dieser inhaltlich wie visuell wilde Ritt ist es, was die Adaption von vielen anderen unterscheidet und sie zu etwas Besonderem macht. Aber auch ohne diese Äußerlichkeiten erzählt Gankutsuou eine spannende Geschichte voller Intrigen und Verrat, eine Geschichte, die fast ausschließlich von furchtbaren Menschen bevölkert ist, die sich gegenseitig Furchtbares antun. An manchen Stellen wird es vielleicht ein wenig schwülstig, der etwas weinerlich angelegte Albert zerrt zuweilen auch mehr an den Nerven, als es dem Anime guttut. Dennoch: Wer Experimentellem aufgeschlossen ist, der sollte sich die 24-teilige Serie einmal zu Gemüte führen. Leider ist diese nie nach Deutschland gekommen, was angesichts der vielen anderen veröffentlichten Gonzo-Werke unverständlich bis ärgerlich ist, ist Gankutsuou doch eines der besten des Studios. Immerhin sind Importe aus den USA, UK oder Frankreich leicht zu bekommen, teils auch sehr günstig.
(Anzeige)