(„Un peu, beaucoup, aveuglément“ directed by Clovis Cornillac, 2015)
Einfach nur seine Ruhe haben, ohne Störung von außen an seinen neuen Projekten arbeiten – mehr erwartet der Spieleerfinder (Clovis Cornillac) ja nicht vom Leben. Meistens klappt das auch ganz gut. Und wenn doch mal jemand in die Nachbarswohnung zieht, dann hat er seine Methoden, den Neuling zu vertreiben. Bis sie auftauchte. Ausgerechnet eine Klavierspielerin (Mélanie Bernier) wohnt nun nebenan, treibt ihn mit ihren Übungen, aber auch im Alltag aufgrund der dünnen Wände in den Wahnsinn. Aufgeben will keiner der zwei Sturköpfe, so viel steht schnell fest. Also gilt es, einen Kompromiss zu finden, mit dem beide leben können. Und tatsächlich: Sie arrangieren sich besser als gedacht. Besser, als ihnen eigentlich lieb ist …
Wo als erwachsener Mensch noch die Liebe des Lebens finden? Im Supermarkt? Bei der Arbeit? In der Bar? Oder doch im Internet? Ganz falsch, wenn es nach Lilou Fogli geht, die den Einfall für den Film hatte und zudem in die Rolle der Schwester Charlotte schlüpft. Sie lässt die beiden Liebenden in spe einfach zu Hause begegnen. Oder auch nicht begegnen, wenn man so will. Naheliegend ist es schon, in der Nachbarschaft anzubändeln, wenn man sich täglich im Treppenhaus trifft, an der Eingangstür unten oder vielleicht auch mal ein bisschen Zucker borgen muss. Nur dass die beiden Protagonisten, so der Gag von Mit dem Herz durch die Wand, sich ausschließlich hören, jedoch kein einziges Mal während der Kennenlernphase zu Gesicht bekommen.
Von Liebe auf den ersten Blick kann hier also keine Rede sein, oder überhaupt von Liebe. Stattdessen sind wir zunächst mittendrin im besten Nachbarschaftskrieg. Wer schon einmal samstags um halb acht durch die lieben Nachbarn geweckt wurde, die meinten, das wäre der beste Zeitpunkt, um mit dem Bohren anzufangen, weiß wie anstrengend es ist, das Leben anderer mitkriegen zu müssen. In der französischen Komödie ist das Dauerzustand, denn mit einer bewundernswerten Kreativität verstehen es die beiden, sich gegenseitig Tag und Nacht zur Hölle zu machen – zum Leidwesen des anderen, zur Freude der Zuschauer.
Nun kann ein derart lebensunfreundlicher Zustand auch in einem Film nicht von Dauer sein, zumal der deutsche Titel Mit dem Herz durch die Wand schon recht deutlich macht, welches menschliche Organ hier am meisten beansprucht werden soll. Und anfangs ist es auch wirklich süß, was hier Hauptdarsteller Clovis Cornillac in seinem Regiedebüt zu erzählen hat. Zwei Menschen, die zurückgezogen leben, nur über andere mit der Außenwelt zu tun haben – bei ihr ist es Charlotte, bei ihm der beste Freund Artus (Philippe Duquesne) –, im ganzen Film noch nicht einmal einen eigenen Vornamen bekommen, wie sollen die auf normale Weise ins Gespräch kommen? Gar nicht. Hier ist es die wunderbar originelle Situation, welche die beiden zusammenführt, sie sich gegenseitig zuhören lässt, nicht weil sie es sich aussuchen, sondern weil sie es müssen. Ihnen den Luxus verschafft, in einer von hohem Tempo geprägten Wegwerfgesellschaft noch ganz langsam einander kennenzulernen.
Wenn die beiden sozial eher etwas beeinträchtigen Menschen sich auf diese Weise näherkommen, eine Art Ersatzbeziehung führen, die auch aus Ängstlichkeit nie die Wohnungsgrenzen überschreitet, dann darf man selbst als eher zynisch veranlagter Zuschauer leise wohlig aufseufzen. Je länger der Film andauert, umso weiter entfernt er sich aber von seiner wunderbaren Ausgangssituation, umso mehr entdeckt er die ausgetretenen Pfade der vielen anderen Genrenachbarn. Dank der sympathisch-verkorksten Charaktere bleibt Mit dem Herz durch die Wand zwar auch dann noch einer der besseren Vertreter. Aber einer der das Risiko scheut: Während die Figuren lernen müssen, langsam aus der Komfortzone herauszutreten, zieht sich der Film zeitgleich dorthin zurück, wird zu einer netten und charmanten Liebeskomödie, wie man sie gerade auch im Heimatland Frankreich recht oft zu sehen bekommt.
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