(„Nerve“ directed by Henry Joost and Ariel Schulman, 2016)
An Vees (Emma Roberts) Highschool gibt es momentan nur ein Gesprächsthema: „Nerve“. Ein Online-Spiel, das die aufmerksamkeitshungrige Jugend im Sturm erobert. Aufgeteilt in Watcher und Player, stellen sich Letztere immer schwerer und gefährlicher werdenden Aufgaben. Für Geld ziehen sie vor Menschenmassen blank oder baumeln in schwindelerregenden Höhen von Gebäuden, während sie andere per Livestream auf Schritt und Tritt verfolgen können. Anders als Vee, sucht ihre Freundin Sydney (Emily Meade) das Rampenlicht, meldet sich bei dem Spiel an und wird schnell zu einer der Favoriten. Die beiden geraten in einen Streit, nach dem sich die schüchterne Vee ebenfalls den Prüfungen stellt und dabei auf den charmanten Ian (Dave Franco) trifft, mit dem sie zum ersten Mal im Mittelpunkt des Geschehens steht. Gemeinsam erleben die beiden eine aufregende Nacht voller Abenteuer, aber auch Gefahren. Als sie an ihre Grenzen gerät, versucht sie auszusteigen, muss allerdings feststellen, dass es kein Entkommen gibt, außer zu gewinnen.
Hirnlose Pranks und waghalsige Mutproben, das Internet erlebte in den letzten Jahren einen umstrittenen Trend, der so manch einen das Leben gekostet hat und viele verwundert zurücklässt. Liken, sharen und nachmachen, alles für ein paar Klicks und den täglichen Kick, der stetig neue Höhen erreicht und keine Grenzen zu kennen scheint. Dem digitalen Phänomen nehmen sich nun die Regisseure Henry Joost und Ariel Schulman an, die nach ihrer Zusammenarbeit an Paranormal Activity 3 und 4 den nächsten Thriller ins Auge gefasst haben. Der basiert auf dem gleichnamigen Erfolgsroman der amerikanischen Autorin Jeanne Ryan und wird durch die beiden Teenieschwärme Emma Roberts (February) und Dave Franco (Die Unfassbaren 2) zum Leben erweckt, denen wir bei wilden Motorradfahrten oder skurrilen Nacktausflügen über die Schulter blicken dürfen. Bereits vor Release machte der Film durch Promotion von Filmemacher und Youtube Star Casey Neistat, der sich um ein Leinwandcameo nicht verlegen ist, von sich reden und brachte die Hypetrommel ordentlich ins rollen.
Eine Highschool, eine schüchterne Protagonistin, eine extrovertierte Freundin, ein unerreichbarer Schwarm und ein mysteriöser Fremder, alles beginnt wie in so vielen Teenie-Filmen zuvor. Irgendwie kann sich Hollywood von dem klassischen Jugend-Drama nicht ganz trennen. Wieso auch, wenn es doch funktioniert? Die Zuschauer können sich mit vielen der missverstandenen Personas identifizieren und ein Happy End gibt es meistens obendrauf. Dennoch verleiht es den ersten Minuten eine gewissen Beliebigkeit, die der Film über seine knapp hundert Minuten Spiellänge nicht vollkommen ablegen kann. Langweilig wird es trotzdem nie, sei es wegen der adrenalingetränkten Prüfungen oder den zahlreichen Songs, welche die dunkle Nacht in ein farbenfrohes Abenteuerland verwandeln, in dem alles möglich zu sein scheint, und einen durch Vees persönliche Erweckung hinweg begleiten. Die Kamera ist immer nah bei den Charakteren, wodurch man mitten im Geschehen der Emotionen und bevorstehenden Entscheidungen steht. Emma Roberts spielt erneut die Rolle des unschuldigen Vorstadtmädchen und zeigt daher keine neuen Fassetten, aber auch Schauspielerkollege Dave Franco kann sich in einer seiner ersten Hauptbesetzungen nicht ganz vom Schatten der ewigen Nebenrolle lösen. In Kombination kann das harmonierende Duo die genannten Schwächen aber größtenteils wettmachen und mit einem spannenden Thriller überraschen, dessen Ausgang zu denken geben soll.
Nerve ist mehr als nur ein aufgewärmtes Teenie-Drama mit „Wahrheit oder Pflicht“ Spiel. Aus Sicht der Player, in diesem Fall der Handlung und Darsteller, mögen Henry Joost und Ariel Schulman das filmische Rad vielleicht nicht neu erfinden, können aber mit einer rundum gelungenen Reise über die persönlichen Grenzen einer unentschlossenen Highschool Schülerin bis hin zu nervenaufreibenden Szenarien, wie sie heutzutage bedauerlicherweise schon im Internet kursieren, dem Namen „Thriller“ mehr als gerecht werden. Aus Sicht der Watcher, hier Inszenierung und Stilmittel, übertreffen besonders die starke musikalische Präsenz und handlungsnahe Kameraführung alle Erwartungen und tauchen den Zuschauer in ein Was-wäre-wenn Szenario, dessen Wahrscheinlichkeit, mit bestehenden Phänomenen wie z.B. Pokemon-Go, erschreckend realistisch einzuschätzen ist. Anders als bei z.B. Money Monster, wird die Gesellschaftskritik an die digitale Generation von heute wesentlich brachialer und inflationärer benutzt, verfehlt ihre Wirkung jedoch nicht und legt seinen Finger auf einen sensiblen Zahn der Zeit.
Anmerkung: Die gezeigten Mutproben bitte nicht nachmachen!
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