The Prophet
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(„The Prophet“ directed by Roger Allers, 2014)

the-prophetLetzte Woche machten wir uns in unserem fortlaufenden Animationsspecial an Bord des Galaxy Express 999 auf die Reise durch die unendlichen Weiten des Weltraums, erkundeten dabei nicht nur die unterschiedlichsten Planeten, sondern durften unterwegs viel über das Leben und uns selbst nachdenken. Und auch im 123. Teil wird es sehr philosophisch, wenngleich wir uns dabei nicht einmal von der Stelle bewegen müssen. Denn hier reicht es, die Augen zu schließen und sich mitreißen zu lassen.

Zwei Jahre lang hat Almitra schon nicht mehr gesprochen, seit dem Tod ihres Vaters. Wenn sie noch mit anderen kommuniziert, dann sind es die Seemöwen, die sie oft begleiten. Aber das ist nicht der einzige Punkt, mit dem das Mädchen seiner Mutter Kamila Sorgen bereitet: Es hört grundsätzlich nicht auf andere, schwänzt häufig Schule, stiehlt sogar auf dem Markt und bringt damit die überforderte Witwe in Verruf. Außerdem lässt es sich Almitra nicht nehmen, ihrer Mutter heimlich zur Arbeit zu folgen. Denn dort kann sie Mustafa treffen, einen Poeten und politischen Aktivisten, der seit sieben Jahren unter Hausarrest steht und um dessen Haushalt Kamila sich kümmert. Der trotz seiner jahrelangen Gefangenschaft immer neue Geschichten zu erzählen hat.

Im Bereich der Musik gab es, früher zumindest einmal, das Konzept der Supergroup: Zuvor bekannte Sänger und Instrumentalisten kamen zusammen und gründeten gemeinsam eine neue Band, wohl auch in der Hoffnung, dass die Ansammlung großer Namen allein schon kommerziellen Erfolg mit sich bringen wird. Wenn man dieses Prinzip auf den Bereich des Animationsfilms übertragen wollte, keiner käme diesem Konzept wohl näher als The Prophet. Die Vorlage bildet die 1923 veröffentlichte, weltweit millionenfach verkaufte Gedichtsammlung des libanesischen Autors Khalil Gibran. Als Sprecher konnten unter anderem Salma Hayek, die auch coproduzierte, Liam Neeson und Quvenzhané Wallis (Beasts of the Southern Wild) gewonnen werden.

Vor allem aber Animationsfreunde werden aufhorchen: Regie führte Roger Allers, der Mann hinter dem Disney-Überklassiker Der König der Löwen. Jedes der Gedichte wurde zudem von einem anderen Animationskünstler umgesetzt, darunter Paul und Gaëtan Brizzi (Asterix – Sieg über Cäsar), Tomm Moore (Das Geheimnis von Kells, Die Melodie des Meeres), Nina Paley (Sita Sings the Blues), Bill Plympton (Idiots and Angels, Mutant Aliens) und Joann Sfar (Die Katze des Rabbiners).

Viel Branchenprominenz also, die sich jedoch nicht in den Verkaufszahlen niederschlug. Eigentlich ist es geradezu absurd, wie wenig Menschen The Prophet kennen, in Deutschland ist der vor zwei Jahren uraufgeführte Film bis heute nicht erhältlich. Andererseits, wer das Animationsgemeinschaftswerk gesehen hat, der erkennt schnell, warum man hierzulande nicht unbedingt auf große kommerzielle Erfolge hoffte. Animation, das gilt meistens dann doch als Medium für ein jüngeres Publikum, mindestens aber die Familie. Die existenziellen Überlegungen jedoch, zu Leben und Tod, zu Gesetz und Glück, gut und böse, die werden für die meisten Kinder dann doch ein wenig zu hoch sein. Und für einen Videoabend ist der Episodenfilm ebenfalls weniger geeignet, dafür erfordert er zu viel Geduld. Und zu viel Freude am Experimentellen.

Mangelnde Ambitionen kann man The Prophet dann auch keinesfalls vorwerfen. Nicht nur, dass die schwierigen Themen in Bilder umgesetzt werden wollten, jeder der Animationskünstler verwendete dafür einen ganz eigenen Stil. Und so ist hier dann auch alles dabei, von klassisch bis modern, von realistisch bis symbolüberladen. Hinzu kommt, dass die Musik des Oscar-Preisträgers Gabriel Yared (Der englische Patient) leicht schwülstig ist, die für den Film neu hinzugefügte Rahmenhandlung um Almitra auch aus einem Disney-Film hätte stammen können. In anderen Worten: In The Prophet passt eigentlich gar nichts wirklich zusammen, Inhalt, Optik, Musik. Das wird sicher für so manchen ein Nachteil sein, gerade wenn man mit der Erwartung an das Werk geht, einen tatsächlichen Film zu sehen. Zwar tut Allers gerade zu Beginn so, als wäre dies hier der Fall. Wenn aber Mustafa gerade in der zweiten Hälfte wirklich bei jeder sich bietenden Gelegenheit seine Weisheiten von sich gibt, dann hat das mit einer Geschichte nur noch wenig zu tun. Vielmehr erwartet einen hier ein audiovisueller Gedankenstrom mit esoterischem Einschlag. Als solcher ist die Adaption faszinierend und fordernd, lädt einen dazu ein, sich in diesem traumartigen Strudel aus Farben und Formen, Worten und Liedern zu verlieren, über das Leben nachzudenken oder sich einfach treiben zu lassen.



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The Prophet
fazit
Die Adaption von Kahlil Gibrans Klassiker ist weniger ein Film, als vielmehr ein audiovisuelles Experiment, die philosophisch-poetischen Überlegungen des Autors mit Animation zu verknüpfen. Die Geschichte selbst kommt durch die Einschübe nie in Schwung, zudem passt hier auch aufgrund der vielen Animationsstile nichts wirklich zusammen. Aber es ist eine faszinierende und außergewöhnliche Reise, die einen auch selbst über das Leben nachgrübeln lässt.
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