Viva
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Viva

(„Viva“ directed by Paddy Breathnach, 2015)

Viva
„Viva“ läuft ab 15. September im Kino

Seine Mutter ist vor einiger Zeit gestorben, der Vater abgehauen, als er drei Jahre alt war: Für den jungen Homosexuellen Jesus (Hector Medina) steht daher fest, dass er selbst schauen muss, wie er über die Runden kommt. Teilweise klappt das als Hairstylist, immer wieder muss er darüber hinaus aber auch seinen Körper verkaufen. Dabei würde es vielleicht sogar eine Alternative geben, denn seine Mentorin Mama (Luis Alberto Garcia) ermöglicht es ihm, bei der Drag-Queen-Show in ihrem Club aufzutreten. Und davon hat der tanzbegeisterte Jesus schon länger geträumt. Ein Traum, der aber vorzeitig mit einer aufgeplatzten Lippe zu enden droht, als plötzlich sein verschollen geglaubter Vater (Jorge Perugorria) vor ihm steht. Denn der Ex-Boxer hält so gar nichts von den schillernden und femininen Neigungen seines Sohnes.

Ach ja, Eltern und ihre nicht erfüllten Erwartungen an den eigenen Nachwuchs. In der einen oder anderen Form dürfte jeder schon einmal die Erfahrung gemacht haben, dass es hier zu größeren Diskrepanzen kommen kann: Vom Berufswunsch über die Wahl der Freizeitaktivitäten bis hin zu den Partnern, das birgt potenziell so einiges an Zündstoff. In Viva ist dieser besonders stark ausgeprägt. Ein alkoholkranker Ex-Boxer, der gerade aus dem Gefängnis gekommen ist, und ein Sohn, der sich mit Haareschneiden, Prostitution und Shownummern übers Wasser hält. Auf der einen Seite der krampfhafte Kampf um Männlichkeit und Machtdemonstration, auf der anderen Seite der ebenso erbitterte Versuch, sich jeder Männlichkeit zu berauben. Viel größer hätte der Kontrast wohl kaum sein können.

Und doch ist eben beides eine Flucht bzw. die Verkörperung einer Sehnsucht danach. Denn der Alltag in dem im Film gezeigten Kuba, der lädt nur wenig dazu ein, in dem Land einmal Urlaub zu machen. Alles hier ist auf eine eindrucksvolle und fast schon schöne Weise schäbig, etwas heruntergekommen, die dunkle Wohnung von Jesus ähnelt eher einem Gefängnis. Während die Boxer ihren Sport jedoch dafür verwenden, um den Sprung ins Ausland zu schaffen, reichen den Drag Queens ein paar alte, theatralische Lieder, um die Gegenwart hinter sich zu lassen. Ein bisschen verklärend ist das manchmal schon, wie Viva die Probleme einfach wegzutanzen versucht. Dass die Figuren nicht einmal selbst singen, sondern nur ihre Lippen zu den Texten anderer bewegen, gibt dem Ganzen zusätzlich eine recht tragische Note – in der irisch-kubanischen Produktion ist eigentlich gar nichts echt. Jeder lebt von Illusionen, kleinen Betrügereien. Selbst Jesus, der immer wieder als guter Junge bezeichnet wird, zögert nicht, einen seiner Freier zu bestehlen, wenn sich die Gelegenheit bietet.

Und doch will das irische Duo aus Paddy Breathnach (Regie) und Mark O’Halloran (Drehbuch) eigentlich gar nicht so düster sein. Denn innerhalb der Drag Queens gibt es – neben dem obligatorischen hysterischen Gezanke – den Zusammenhalt, den das reale Kuba und auch die Welt des Boxens vermissen lässt. Sollen sie sich doch draußen die Köpfe einschlagen, wenigstens wir sind füreinander da, so das Motto. Das ist ebenso idealisierend wie die Annäherung des ungleichen Vater-Sohn-Gespanns. Dass diese stattfinden würde, ist jetzt keine besonders große Überraschung, stört auch nicht weiter. Bedauerlich ist aber, wie schnell das bei Viva geschieht. In dem einen Moment sind sich die beiden noch komplett fremd, plötzlich liegen sie sich in den Armen – da wurde ausgerechnet die so wichtige Phase des Aufeinanderzugehens irgendwie komplett übersprungen, und damit das Herzstück des Films.

Dass man dafür auch noch einen Auslöser nimmt, wie er wohl nur im kleinen Drehbuchratgeber zu finden ist, hilft auch nicht unbedingt dabei, dass man dem Film so wirklich Glauben schenken mag. Dafür ist der Film bei all seinen Plädoyers für die Andersartigkeit zu stromlinienförmig und konventionell. Positiv jedoch: Héctor Medina ist eine Entdeckung, wie er sich mal vor anderen versteckt, dann wieder selbstbewusst vor ihnen rekelt, immer auf der Suche nach einem Platz für sich und seine Träume. Darüber hätte man gern mehr erfahren. Und über ihn. So aber bleibt ein Drama, das man, die ungewohnte Kulisse einmal ausgenommen, irgendwie schon zu oft gesehen hat. Ein Drama, das vielleicht auch deshalb von der Flucht träumt, weil es selbst so wenig zu sagen hat.



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Stell dir vor, ein straffälliger Boxer entdeckt, dass der eigene Sohn in Frauenkleidern auftritt. Aus diesem größtmöglichen Kontrast macht „Viva“ eine Geschichte über die Annäherung zweier fremder Menschen, verpasst dabei aber ausgerechnet, diese Annäherung auch wirklich zu zeigen. Stattdessen gibt es ein zwar eindrucksvoll bebildertes und gut gespieltes, aber doch sehr konventionelles Drama ohne eigene Identität.
6
von 10