As I Open My Eyes
© Kairos Filmverleih

As I Open My Eyes

(„À peine j’ouvre les yeux“ directed by Leyla Bouzid, 2015)

„As I Open My Eyes“ läuft ab 6. Oktober im Kino

Für Farah (Baya Medhaffer) gibt es derzeit nichts Größeres, als Musik zu machen. Nicht nur, dass es die junge Tunesierines liebt, auf der Bühne zu stehen und zu singen, sie kann dabei gleichzeitig ihrem Bandkollegen und Freund Borhene (Montassar Ayari) nahe sein. Farahs Mutter Hayet (Ghalia Benali) passt dies jedoch so gar nicht. Die würde die Jugendliche lieber bei einem seriösen Hobby sehen, umgeben von anständigen Leuten. Ärztin soll sie einmal werden, etwas Besseres mit ihrem Leben anfangen. Und sie ist nicht die einzige, die dem Umfeld etwas skeptisch gegenüber steht: Den Behörden sind die Bandmitglieder schon länger aufgrund ihrer regimekritischen Texte ein Dorn im Auge.

Einige Jahre sind seit dem Arabischen Frühling bereits vergangen, doch für Leyla Bouzid ist die Vergangenheit noch spürbar präsent. Es ist die Zeit unmittelbar davor, welche die tunesische Regisseurin und Co-Autorin interessiert, welche sie in ihrem Spielfilmdebüt noch einmal aufleben lässt. Der Umsturz selbst wirkt hier noch fern und ist doch auf Schritt und Tritt zu sehen, zu hören, zu tasten. Irgendwo zwischen Aufbruchsstimmung und Ernüchterung bewegen sich die Figuren, frustriert von ihrer eigenen Ohnmacht, angetrieben aber von dem Willen, dies zu ändern. Und dazwischen eine 18-Jährige, die zum Sprachrohr wird, ohne genau zu wissen, was das eigentlich bedeutet.

Ein bisschen romantisiert ist das schon, was da in Farah vorgeht. Musikwissenschaft will sie studieren, obwohl es dafür keine Berufe gibt. Von Freiheit singen, die ihr keiner geben kann. As I Open My Eyes – alternativ als Wenn ich meine Augen öffne bekannt – ist deshalb nicht nur die Geschichte einer Region im Umbruch, sondern zugleich die einer jungen Frau, die sich in unsicheren Zeiten selbst zu finden versucht. Viele Stellen des Dramas funktionieren sogar auch ohne Kontext sehr gut: Eine Mutter und ihre Tochter streiten um die Zukunft, die erste mit den eigenen Erfahrungen – und Enttäuschungen – im Herzen , die zweite mit dem unbändigen Willen, den Weg für sich allein zu finden. Bouzid gelingt es dabei sehr schön, Verständnis für beide zu erzeugen. Für Farah, die vieles erst noch entdecken muss. Für Hayet, die genau davor Angst hat. Männer kommen bei diesem ewigen Wettstreit natürlich auch vor, bestimmen oft den Rahmen, in denen sich die Frauen zu bewegen haben, und bleiben dabei doch auffallend stumm. Egal ob sie nun gerade etwas sagen oder nicht.

Anders bei Farah. Wenn sie den Mund aufmacht, meint man tatsächlich, dass sie mit ihrer kräftigen Stimme und den provokativen Texten die Welt auf den Kopf stellen könnte. Wobei: Das plötzliche Verstummen des Umfeldes, es wird nie so ganz klar, ob es an der Musik selbst liegt oder daran, dass es eben eine junge hübsche Frau ist, die da singt. Denn das Politische und Persönliche wird unentwegt vermischt, bekommt oft auch eine sexualisierte Note. Als ging es den Leuten gar nicht so sehr um die Inhalte. Auch an anderen Stellen vermeidet es Bouzid, die musikalische Rebellion zu einfach davonkommen zu lassen. Geradezu brutal rückt die Filmemacherin die naive Weltsicht ihrer jungen Protagonisten da zurecht, zeigt welche Konsequenzen ihr Tun für sich und andere hat. Spannend in dem Sinne ist As I Open My Eyes weniger, dafür gerät der nahende Umsturz zu oft in den Hintergrund. Eine sehenswerte Mischung aus Coming of Age und Zeitporträt ist das Drama aber auch so, allein schon der unglaublichen Präsenz von Nachwuchsschauspielerin Baya Medhaffer wegen.



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Wie war die Stimmung in Tunesien vor dem Arabischen Frühling? „As I Open My Eyes“ gibt nur zum Teil eine Antwort darauf, sondern verknüpft diesen Aspekt mit einer Coming-of-Age-Geschichte einer jungen Frau, die in einer von Traditionen und Männern bestimmten Gesellschaft ihren Weg sucht.
7
von 10