(„The Daughter“ directed by Simon Stone, 2015)
Jahre schon war Christian (Paul Schneider) nicht mehr in seiner alten Heimat gewesen, ein verschlafenes Nest, in dem sich normalerweise nie etwas tut. Jetzt aber schon, und das gleich doppelt. Und der Heimkehrer kann gar nicht sagen, was ihn mehr schockt: dass sein Vater Henry (Geoffrey Rush) nach dem Tod seiner Frau eine deutlich Jüngere heiraten will oder dass dieser das Holzwerk der Familie schließt, welches für viele Menschen die einzige Einkommensmöglichkeit bedeutet. Auch Oliver (Ewen Leslie), mit dem Christian seit seiner Jugend befreundet ist, hat schwer mit dieser Veränderung zu kämpfen. Wegziehen und etwas Neues suchen? Schwierig, schließlich muss er sich auch um seine Frau Charlotte (Miranda Otto), Tochter Hedvig (Odessa Young) und den langsam dement werdenden Vater Walter (Sam Neill) kümmern. Doch das eigentliche Unglück passiert erst, als Christian beginnt, in der Vergangenheit herumzustochern und dabei einige unschöne Familiengeheimnisse zu Tage bringt.
Als Theaterregisseur hat sich Simon Stone in den letzten Jahren bereits einen Namen gemacht, nun folgt mit Die Wildente der erste Gang in die Kinos. Vielleicht um sich bei dem cineastischen Abenteuer nicht gleich zu verlaufen, wählt er für sein Debüt einen ihm bestens vertrauten Stoff: Henrik Ibsens gleichnamiges Stück aus dem Jahr 1884. Der Australier hatte das bereits mehrfach inszeniert, bevor er es nun in ein Filmdrama verwandelte. Dass die Geschichte zweier Familien eigentlich auf der Bühne geboren wurde, mag man sich hier kaum vorstellen: Die weitläufigen dunklen Wälder, die einsamen Seen, die möchte man nach dem Film nicht mehr missen, gehören zu der Aufbereitung verborgener Geheimnisse ebenso dazu wie die darin umherirrenden Menschen.
Zudem dürfte Stone im Theater nicht den Luxus gehabt haben, mit einem derart prominenten Ensemble arbeiten zu dürfen. Geoffrey Rush, Miranda Otto, Sam Neill – das sind schon einige große Namen, die da im Abspann zu lesen sind. Namen, die hier auch unter Beweis stellen dürfen, warum sie zur ersten Schauspielgarde Down Unders zählen. Allgemein profitiert Die Wildente sehr von dem geballten Talent, das sich da vor der Kamera tummelt. Auch Odessa Young, die hier das erste Mal bei einem Spielfilm mitwirkt, zeigt eine fabelhafte Leistung als Jugendliche, die zum Spielball anderer wird, sich dagegen erst noch aufzulehnen lernen muss, vergleichbar zur angeschossenen Titelfigur, die allen Schwarzmalereien zum Trotz wieder das Fliegen lernt. Das Alte und das Neue, ein Abschluss und ein Neustart.
Subtil ist diese Parallelität natürlich nicht, aber das scheint Stone auch an anderer Stelle nicht sonderlich zu stören. Wo Ibsen seinerzeit noch offenließ, ob das Geheimnis der Wahrheit entsprach, lässt Stone keinen Zweifel daran – mit dramatischen Folgen. So richtig passt das überaus dramatische Ende dann auch nicht zu dem Vorangegangenen, denn Die Wildente überzeugte eigentlich genau durch die leisen Töne. Dass hier tragische Vorgeschichten lange Schatten werfen, ist recht schnell spürbar, unausgesprochen sind die Konflikte zwar, versteckt jedoch kaum. Aber erst nach und nach wird klar, woher diese Schatten kommen, was sich in der australischen Kleinstadt alles zugetragen hat. Eine Menge ist das, in Summe auch ein bisschen mehr, als es die Geschichte verträgt. Aber so sind sie nun mal, die düsteren Familiendramen, da bleibt zum Schluss nie ein Stein auf dem anderen. Dank der starken Atmosphäre und der Besetzung ist das hier jedoch etwas nebensächlicher, die vielen wunderbar menschlich gespielten Szenen entschädigen für das leichte Augenrollen zum Ende hin.
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