(„Shinreigari/ Ghost Hound“ directed by Ryūtarō Nakamura, 2007)
Halloween steht vor der Tür. Und das bedeutet auch für unser fortlaufendes Animationsspecial, dass es wie die letzten Jahre schon ein wenig düsterer wird. Tatsächlich hat Teil 130 alles, was es für den gepflegten Schrecken braucht: Geister, Mord, Entführung, alte Rituale. Und doch ist Ghost Hound irgendwie ganz anders, als man erwarten sollte.
Elf Jahre liegt das Unglück nun schon zurück: Der damals drei Jahre alte Tarō Komori und seine ältere Schwester wurden entführt. Und während er selbst heil aus der Sache wieder herauskam, starb Mizuka seinerzeit. Bis heute hat sich seine Familie nie so recht davon erholen können, umso mehr, da das Verbrechen nie aufgeklärt wurde. Tarō selbst leidet beispielsweise noch immer unter seltsamen Alpträumen, die ihn regelmäßig heimsuchen. Aber das ist nicht das einzige Mysterium, welches die Kleinstadt in den Bergen beschäftigt. Immer mehr Leute werden Zeugen eigenartiger Ereignisse, allen voran Tarō und seine beiden Mitschüler Makoto und Masayuki.
Welche Animes ihren Weg nach Deutschland finden, das ist aus Fansicht oft nicht ganz nachvollziehbar. Da werden einem außergewöhnliche, überall hoch gelobte Werke wie Mushi-Shi oder Mononoke vorenthalten, stattdessen gibt es Massenware, die man noch während des Anschauens schon wieder vergessen hat. Mangelndes kommerzielles Potenzial heißt es in solchen Fällen wohl. Warum sich aber niemand an Ghost Hound versucht hat, das ist dann doch ein Rätsel, denn hier waren so viele große Namen beteiligt, dass das Cover mit Querverweisen zugepflastert werden könnte. Das Konzept der Serie stammt von Masamune Shirow, dem Mastermind hinter Ghost in the Shell und Appleseed, umgesetzt wurde es vom Animationsstudio Production I.G (Blood-C, Psycho-Pass). Das steht nicht nur meistens für gehobene visuelle Qualität, bei Ghost Hound handelt es sich sogar um das Jubiläumsprojekt zum 20. Geburtstag. Und solche Projekte sind oft etwas Besonderes mit größeren Ambitionen verbunden. Wenn dann auch noch Ryūtarō Nakamura Regie führt und Chiaki J. Konaka das Drehbuch verfasst, also das Duo hinter dem Ausnahmeanime Serial Experiments Lain, dann sind die Fragezeichen angesichts der fehlenden Lokalisierung umso größer. Aber Fragezeichen hinterlässt die Serie ja ohnehin mehr als genug.
Das größte steht hinter der Frage, worum es eigentlich in Ghost Hound gehen soll. Das Geheimnis hinter der ungeklärten Entführung, möchte man meinen. Hinzu kommen die übernatürlichen Elemente, stößt das Jungentrio doch bald die Tür auf zu einer verborgenen Welt, in der Geister und andere fremde Wesen ein und ausgehen. Beides spielt auch bis zum Schluss eine Rolle, wird aber durch weitere Handlungsstränge ergänzt. Die hängen zwar alle irgendwie zusammen, gleichzeitig aber auch nicht, manches wird lieblos aufgelöst, anderes auf einmal deutlich größer, ohne dass einem richtig klar würde warum. Wem es allein auf den Mysterypart ankommt, der wird auch angesichts des eigenwilligen Endes unbefriedigt bleiben, wenn nicht gar mächtig wütend. Umso mehr, da der Anime atmosphärisch einer der stärksten ist, die man in den letzten zehn Jahren hat sehen dürfen.
Das ist vor allem auf das unglaubliche Sounddesign zurückzuführen. Ghost Hound verzichtet sowohl in der normalen wie auch der verborgenen Welt auf Musik oder das, was wir allgemein als Musik empfinden. Stumm ist der Anime jedoch nicht: Fast immer ist ein Brummen zu hören, es gibt unheimliche Klänge, Stimmen werden verzerrt. Auch mit den Lautstärkereglern wird gespielt, Gespräche sind nicht mehr zu hören, dafür werden sie von regelmäßigen und fremdartigen Geräuschen überlagert. Es sind einfache Kniffe, dafür aber sehr effektive: Selbst wenn die Serie gerade nichts Außergewöhnliches zu erzählen hat, ist man kontinuierlich angespannt, hier wird schon sehr wirkungsvoll mit dem Nervenkostüm der Zuschauer gespielt.
Dazu gesellen sich auch optisch ungewöhnliche Elemente, die mal reiner Horror sind, dann wieder surreal oder gelegentlich einfach bizarr-komisch. Immer wieder leidet vor allem Tarō an Halluzinationen und Alpträumen, aber auch andere machen furchteinflößende Begegnungen. An einer Stelle sogar so furchteinflößend, wie man es in einem Anime kaum für möglich hält. Da wird mit verfremdeten Farben experimentiert, mit krisseligen Aufnahmen, einzelne Sequenzen wechseln in die Ego-Perspektive, Gesichter verschwinden plötzlich, Proportionen stimmen nicht mehr. Allgemein kann man Production I.G nur relativ wenig Vorwürfe bei der Umsetzung machen. Sicher, die Animationen hat man schon einmal geschmeidiger gesehen, einige Hintergründe hätten animierte Elemente gut vertragen können. Und die Designs der Figuren sind etwas nichtssagend. Dafür gibt es viele sehr schöne Details, etwa Spiegelungen während einer Autofahrt, die Landschaften machen ohnehin Lust, die Koffer zu packen und ins ferne Japan zu fahren.
Allein deshalb schon lohnt sich der Griff zum US- oder Australien-Import, audiovisuell zeigt Ghost Hound der Horrorkonkurrenz, wie es richtig geht. Nur sollte man im Vorfeld eben wissen, dass Horror nur ein Teilaspekt ist. Inhaltlich erinnert die Serie zuweilen an das andere ländliche Kleinstadtunglück Higurashi – When They Cry, ist letztendlich aber Boogiepop Phantom aufgrund des Fokus auf die Figuren doch deutlich näher. Sofern man denn von einem Fokus sprechen darf. Die Serie ist gleichzeitig zu schnell und zu langsam, lässt sich viel Zeit, um einzelne Fäden aufzuspinnen und Charaktere vorzustellen, nur um dann doch an anderer Stelle wieder weiterzumachen. Immerhin sind besagte Charaktere dafür interessant geworden, zwar von tragischen Schicksalen heimgesucht, aber doch nachvollziehbar und menschlich, der Anime funktioniert auch als Drama ziemlich gut. Dass man sich hier nicht entscheiden konnte oder wollte, was Ghost Hound am Ende sein soll, ist natürlich schade, denn vieles ist hier so meisterhaft, dass am Ende eigentlich ein Meisterwerk hätte draus werden müssen. Aber so ist das Leben: Nicht jedes Rätsel findet eine Lösung. Und so lange das Rätsel so spannend und anders ist wie hier, braucht es das vielleicht auch nicht.
(Anzeige)