Schwester Weiß
© W-Film

Schwester Weiß

(„Schwester Weiß“ directed by Dennis Todorovic, 2015)

schwester-weiss
„Schwester Weiß“ läuft ab 20. Oktober im Kino

Zu behaupten, die Schwestern Martha (Željka Preksavec) und Helene (Lisa Martinek) wären recht unterschiedlich, das wäre schon sehr milde ausgedrückt. Eigentlich haben die beiden nicht viel gemeinsam. Die eine ist pflichtbewusst, zurückhaltend und führt ein ruhiges Leben als Ordensschwester. Die impulsive Helene wiederum will von Gott nichts wissen, will ihrer Tochter sogar den Umgang mit Martha verbieten, damit diese nicht auf dumme Missionarsgedanken kommt. Noch bevor dieses Verbot in die Tat umgesetzt werden kann, ereignet sich jedoch ein Unglück: Helenes Mann und das Kind kommen bei einem Autounfall ums Leben, sie selbst verliert dabei ihr Gedächtnis. Und als wäre das nicht schon kompliziert genug, kommt es bald zum Streit zwischen Martha und Dolores (Beatrice Richter), der Mutter des Verstorbenen. Denn die will ihren Sohn und die Enkelin in einem Wald beerdigen, Martha auf einem regulären Friedhof. Und ausgerechnet Helene, die sich an die beiden gar nicht erinnern kann, soll die Streitfrage klären.

„Meine Tochter wird keine Nonne.“
„Das bin ich doch auch nicht. Wir sind Ordensschwestern.“
„Ist doch alles derselbe Scheiß.“

Nein, freundlich ist der Umgang der beiden Schwestern nicht. Vielmehr ist die Art und Weise, sich Beleidigungen um die Ohren zu hauen, wie man es nur innerhalb der Familie ungestraft findet, von einer geradezu komischen Schonungslosigkeit geprägt. Nur dass einem kurze Zeit drauf das Lachen vergeht, wenn der Wagen sich überschlägt, zwei Leben auf tragische Weise viel zu früh beendet werden. Beides, Komik und Tragik, findet sich auch in den folgenden rund anderthalb Stunden von Schwester Weiß. Und darüber hinaus noch einigen Stoff zum Nachdenken.

Natürlich ist die Ausgangssituation etwas konstruiert, Regisseur und Drehbuchautor Dennis Todorovic interessiert sich hier weniger für die authentische Abbildung eines Alltags. Das soll jedoch nicht bedeuten, dass sein Film deshalb wenig Relevantes zu sagen hatte. Die Figurenkonstellation zweier entgegengesetzter Geschwister, die ist durchaus lebensnah, dürfte so mancher aus seinem eigenen Umfeld kennen. Und auch dass die beiden durch äußere Umstände dazu gezwungen werden, sich anzunähern, ist nicht grundlos ein beliebtes Element in Filmen, da die Aufarbeitung der Vergangenheit und das das Lernen von Akzeptanz anderer Ansichten zum Leben nun mal dazugehört. Ungewöhnlich ist jedoch, dass eben eine der beiden Personen ihrer eigentlichen Identität beraubt wurde, sich an nichts erinnern kann, was sie einmal ausgemacht hat.

Das gegenseitige Kennenlernen geht auf diese Weise mit einem eigenen Kennenlernen einher, was eine reizvolle Variante der bewährten Ausgangslage ist und Amnesie auch einmal außerhalb des Thrillergenres einen dramaturgischen Zweck gibt. Zudem hat dieses Ungleichgewicht eine Reihe interessanter Fragen zur Folge. Kann man für jemanden ein Elternteil sein, wenn man sich gar nicht an die Person erinnert? Darf eine geistig völlig gesunde, aber eben gedächtnisfreie Person Entscheidungen für andere treffen? Das ist mal nachdenklich, dann wieder berührend, gerade auch weil Martha unter der erzwungenen Gefühlslosigkeit der Schwester leidet – eine Mutter, die nicht um das tote Kind trauert, das kann einfach nicht sein.

Trotz dieser zuweilen tatsächlich schmerzhaften Tragik zeigt sich Schwester Weiß jedoch ziemlich zurückhaltend, erzählt betont unspektakulär und behutsam von den beiden Schwestern, die sich näherkommen und doch nicht finden können. Die starken Kontraste werden mit der Zeit aufgelöst, die Sympathien neu verteilt, ohne dabei einseitig zu werden. Dass dabei letztendlich nicht viel erreicht wird, stört nicht weiter: Todorovic ist ein schöner kleiner Film gelungen, der zwar weder Komödienfans noch Herzschmerzanhänger so richtig bedient, aber Freunden leiser Geschichten gefallen sollte.



(Anzeige)

Zwei ungleiche Schwestern, die sich annähern müssen, das ist eine bekannte Situation, wird hier aber durch den Amnesie-Aspekt reizvoll variiert. Das ist zwar ein wenig konstruiert, bietet aber den Anlass für diverse interessante Gedankengänge und erzählt eine angenehm leise Geschichte um Vergangenheitsaufbereitung und Akzeptanz.
7
von 10