(„Terror – Ihr Urteil“ directed by Lars Kraume, 2016)
Die Sachlage ist klar: Ein gekapertes Flugzeug steuert auf die Münchner Allianz Arena zu, wo gerade ein Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und England in Gange ist. 70.000 Menschen könnten dort sterben. Ein zu hohes Risiko für den Kampfjet-Piloten Lars Koch (Florian David Fitz), der sich den Befehlen widersetzt und das Passagierflugzeug abschießt. 164 Menschen mussten deshalb sterben, 164-fachen Mord wirft die Staatsanwältin Frau Nelson (Martina Gedeck) dem Soldaten dann auch vor. Für dessen Verteidiger Herr Biegler (Lars Eidinger) ein Unding, hat er doch auf diese Weise deutlich mehr Menschen das Leben gerettet. Nun liegt es an dem Vorsitzenden Richter (Burghart Klaußner) gemeinsam mit Schöffen zu beurteilen, ob der Abschuss gerechtfertigt war oder nicht, ob das Töten einer Gruppe die Rettung einer anderen legitimiert.
Terror – Ihr Urteil dürfte sicher der zuletzt am meiste diskutierte Film sein. Kein Zufall, war er doch von Anfang an darauf ausgelegt. Nicht nur, dass er ein heikles Thema aufgreift – darf man Unschuldige töten, um andere zu retten? –, das in Zeiten des allgegenwärtigen Terrors ohnehin für Gesprächsstoff sorgt. Nein, der Zuschauer wurde in einem medial stark ausgeschlachteten Experiment selbst zum Richter, wurde also gezwungen, zu den Vorgängen Stellung zu beziehen. Schon im Theaterstück von Ferdinand von Schirach, auf dem das Drama basiert, durfte das Publikum abstimmen, ob Koch schuldig gesprochen wird oder freikommt. Und dieses Prinzip wurde auch hier übernommen: Sowohl bei den ausgewählten Kinovorstellungen wie auch der kurz darauf folgenden Fernsehübertragung durften auch Laien gemäß ihrer moralischen Überzeugung das Ende bestimmen. Sprach sich eine Mehrheit für einen Freispruch aus, wurde eben dieses Ende gezeigt, alternativ war auch eins gedreht worden, in dem Koch verurteilt wurde.
Dass es das Freispruch-Ende wurde, mit überwältigendem Abstand sogar, ist nicht wirklich verwunderlich. Zum einen ließ man Koch von Sonnyboy Florian David Fitz spielen, den nur die wenigsten ins den Knast stecken wollen würden, während die Gegenseite durch eine stark analytische, unterkühlte Martina Gedeck besetzt wurde. Zum anderen ist die wissentliche Tötung von Unschuldigen durch die Anonymität der Opfer vereinfacht, auch wenn hier eine der Angehörigen auftaucht, auch wenn das Problem der Anonymität angesprochen wird. Sich dessen bewusst zu sein, bringt relativ wenig, wenn man nur die Zahlen anschaut. 164 auf der einen Seite, 70.000 auf der anderen. Und Zahlen werden nur bei den wenigsten Emotionen auslösen.
Auch wenn man sich nur schwer gegen den Eindruck wehren kann, dass Terror – Ihr Urteil ein bestimmtes Ende bevorzugt, man muss dem Film zugutehalten, wie ausführlich und ausgewogen die Argumentation hier stattfindet. Da werden Beispiele zur Veranschaulichung präsentiert, aus Studien und von Philosophen zitiert, Angeklagter und Zuschauer gleichermaßen in Gedankenspiele verwickelt. Mehr noch als Eye in the Sky, der ebenfalls mit dem Problem einer wissentlichen Opferung von wenigen zum Wohle von vielen kämpft, ist die deutsche Produktion an vielen Stellen mehr Versuchsanordnung als Geschichte.
Das wird natürlich auch durch das Theatererbe bedingt: Die kompletten anderthalb Stunden spielen sich innerhalb eines sterilen Gerichtssaales ab, den optisch nicht viel von einer Fabrikhalle trennt. Hier gibt es keine Handlungen, keine Überraschungen, sondern ausschließlich Sprache. Manchmal in Form eines Dialoges, meist sind es eher kaum versteckte Monologe, um einen Gedanken darzulegen. Störend ist das nicht. Im Gegenteil: Terror – Ihr Urteil schwächelt ausgerechnet dann, wenn sich der Film davon löst und versucht Persönlichkeit hineinzubringen. Denn hier wird die gekünstelte Art des Streifens dann doch zu offensichtlich, ebenso an dem zuweilen doch sehr unnatürlichen Gesprächsverlauf. Anders gesagt: Es stellt sich hier nur selten das Gefühl ein, tatsächlichen Menschen beim Austausch zuzusehen. Diesen Mangel sollte man ignorieren können oder in der Hinsicht von vornherein mit geringen Ansprüchen an die Sache herangehen. Wer das kann, wird mit einem Werk belohnt und gefordert, das viele kluge und spannende Ansätze enthält und diese in einer massentauglichen Form aufbereitet.
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