(„The Blair Witch Project“ directed by Daniel Myrick and Eduardo Sanchez, 1999)
In den Wäldern soll eine Hexe hausen, böse und gefährlich. So zumindest lautet die Legende, welche man sich in dem kleinen Ort Burkittsville erzählt. Spannender Stoff für eine Dokumentation, denken sich die drei Studenten Heather Donahue, Michael C. Williams und Joshua Leonard. Und so machen sie sich, bewaffnet mit Kamera, Kompass und Campingausrüstung, auf den Weg zu dem verschlafenen Städtchen, wo sie erst die Einwohner interviewen wollen, um anschließend den Wald selbst zu erkunden. Zunächst geht dabei auch alles klar. Bald jedoch müssen sie feststellen, dass sie von der puren Größe des Gebietes überfordert sind und nicht mehr so recht wissen, wo sie sind. Schlimmer noch: Etwas scheint mit ihnen unterwegs zu sein und ständig näherzukommen.
Siebzehn Jahre später in die Wälder zurückzukehren, in der einst das Grauen umging, das ist mit deutlich gemischten Gefühlen verbunden. Soll man The Blair Witch Project dafür bewundern, wie es das Horrorgenre, dessen Regeln und Techniken umkrempelte? Wie es mit minimalen Mitteln eine Wirkung erzeugte, wie sie die Hoch-Budget-Konkurrenz kaum erreichte? Oder soll man es im Gegenteil dafür hassen, dass es uns das Found-Footage-Konzept einbrockte, das uns jahrelang mit nur minimalen Variationen verfolgte? Natürlich, The Blair Witch Project war nicht der erste Film, der mit angeblich echten Kameraaufnahmen die Zuschauer in Angst und Schrecken versetzen wollte. Die große Zahl an Nachahmern kam zudem auch erst, als Paranormal Activity acht Jahre später ebenfalls Einnahmenrekorde aufstellte. Und doch ist es so beachtlich wie beängstigend, wie viel hier schon von dem zu finden ist, was für diese Horrorsparte später so typisch werden sollte.
Lange ist einem hier nämlich gar nicht klar, dass man gerade vor einem Horrorfilm sitzt. Es könnte auch ein tatsächlicher Dokumentarfilm sein, gedreht von tatsächlichen Studenten. Das Regie- und Drehbuchduo Daniel Myrick und Eduardo Sanchez tat nämlich eine ganze Menge dafür, dass der Ausflug in die Wälder nach eben einem solchen aussah, überzeugt davon, dass Reportagen über paranormale Ereignisse oft unheimlicher sind als reguläre Horrorfilme. Vorgefertigte Dialoge gab es dann auch nicht, stattdessen wurden die drei Darsteller nach ihren Improvisationsfertigkeiten ausgesucht. Auch die Geschichte wurde ihnen vorab nur begrenzt verraten. Hinzu kommen die körnigen Aufnahmen, die jede Professionalität vermissen lassen und eher so aussehen, als hätten da Jugendliche mit ihren Kameras gespielt. Oftmals sind die drei auch eher mit sich selbst beschäftigt als mit dem, was da draußen vor sich geht. Oder es auch nicht tut.
Denn das ist der zweite Punkt, der The Blair Witch Project neben der enormen Authentizität auszeichnet: Man weiß hier gar nicht so recht, ob da überhaupt etwas ist oder ob die drei angesichts der gespannten Situation nicht einfach die Nerven verlieren. Auf den Kameras selbst ist nichts zu sehen, es sind die Reaktionen des Trios, welche auch im Zuschauer leichte Panik auslösen. Gemäß der Idee, dass das Furchterregendste die eigene Vorstellungskraft ist, überlassen es Myrick und Sanchez dem Zuschauer, sich den Rest auszumalen. Das funktionierte damals auch deshalb so gut, weil die beiden sich alternativer Marketingmethoden bedienten und das Kinopublikum in dem Glauben ließen, dass es sich dabei um reale Aufnahmen handelte, die man in den Wäldern gefunden hatte – Found Footage, wie es im Buche steht.
Für heutige Sehgewohnheiten ist das dennoch vermutlich wenig. Jump Scares, ohne die inzwischen ja fast kein Horrorfilm mehr auskommen will, die sucht man hier vergeblich. Allgemein passiert hier eigentlich nicht viel: Drei Jugendliche laufen durch den Wald, verlieren die Orientierung und später die Nerven. Bis überhaupt die unheimlichen Elemente Einzug in den Film erhalten, ist dieser schon mindestens zur Hälfte vorbei. Was bei den späteren Me-too-Produktionen tierisch langweilte, war bei The Blair Witch Project aber Teil des Konzepts, Spannung entstand dadurch, dass hier völlig überraschend und allmählich alles schiefging. Vergleichbar unheimlich wurde es die Folgejahre dann auch nur noch selten im Found-Footage-Bereich, viele der Genrekollegen verstanden es zwar, die Mechanismen zu übernehmen, teils eins zu eins, ohne aber zu wissen, wozu die eigentlich damals gut waren. Das Spiel mit der Kamera, das Rau-Amateurhafte, es verkam zu einem Gimmick, das zu berechnend und oft falsch eingesetzt wurde und sich damit der eigenen Wirkung beraubte.
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