Cucumber
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Cucumber

(„Cucumber“ directed by David Evans, Alice Troughton and Euros Lyn, 2015)

CucumberEs hätte ein so schöner Abend werden sollen, endete jedoch im Desaster: Als Lance Sullivan (Cyril Nri) seinem Partner Henry Best (Vincent Franklin) einen Heiratsantrag macht, fällt die Antwort nicht ganz so aus wie von ihm erhofft. Ein Wort ergibt das andere, alte Streitpunkte werden wieder ausgegraben, am Ende ist die neunjährige Beziehung Geschichte. Vor allem für Henry kommt das zu einem ungünstigen Zeitpunkt, da zeitgleich Ärger bei der Arbeit droht. Und so beschließt er erst einmal, zu seinen Kollegen Dean Monroe (Fisayo Akinade) und Freddie Baxter (Freddie Fox) zu ziehen, die in einem verdächtig günstigen und ziemlich heruntergekommenen Apartment leben. Aber auch Lance wird bei seiner Sehnsucht nach Ablenkung bei der Arbeit fündig: Sein neuer Kollege Daniel (James Murray) ist zwar offiziell heterosexuell, was ihn aber nicht davon abhält, immer wieder mit ihm zu flirten.

Was wurden Cucumber und die Begleitserien Banana und Tofu nicht zu einem Ereignis hochstilisiert. Nicht nur, dass Russell T Davies hier erstmals seit der Kultserie Queer as Folk zu seinen LGBT-Wurzeln zurückkehrte, er tat dies sogar für den britischen Sender Channel 4 – und mit dem hatte er nach einem Zerwürfnis nur dann wieder arbeiten wollen, wenn er die Idee für ein Projekt hätte, was sich nur dort verwirklichen ließe. Die Erwartungen an das Serientrio waren entsprechend hoch, wurden insgesamt auch erfüllt – wenngleich vielleicht nicht so, wie es mancher Zuschauer gern gehabt hätte.

Ja, Sex spielt erneut eine größere Rolle hier, was sich bereits in der ungewöhnlichen Titelauswahl widerspiegelt: Cucumber, Banana und Tofu waren die in einer wissenschaftlichen Studie verwendeten Begriffe, um die Härte eines erigierten Penis zu beschreiben. Und so kurios diese Wahl ist, so kurios ist auch Cucumber. Über weite Strecken ist die Serie im Komödienbereich angesiedelt, bringt einen durch kauzige Charaktere und absurde Situationen zum Lachen. Sie macht sich anders als das bahnbrechende Queer as Folk, welches alternative Lebensstile erstaunlich offenherzig in die heimischen Fernseher transportierte, aber auch über die Figuren und ihre ständige Suche nach Sex lustig. So wie diese es auch selbst tun.

Was bleibt ihnen aber auch anderes übrig? Die meisten Protagonisten in Cucumber haben bereits ein mittleres Alter erreicht, sind weder sonderlich erfolgreich, noch körperlich anziehend. Kaum einer würde einem auffallen, stünden sie in einer Bar neben einen. Und so nehmen sie es mit Humor, wenn sie dort von umwerfend gutaussehenden Jünglingen bedient werden, von denen sie genau wissen, dass sie die älteren Herren keines Blickes würdigen würden. Auch das macht die Serie zu etwas Besonderem: Sie kümmert sich nicht um die Pin-up-Boys, die mit Traumkörpern ohnehin jeden bekommen können. Sie kümmert sich um den Rest, die breite Masse, für die sich niemand wirklich interessiert, um ihre Alltagsprobleme, das tägliche Scheitern. Es ist nicht einmal so, dass die Protagonisten riesige Sympathieträger sind, von Henrys schlagfertiger Schwester Cleo (Julie Hesmondhalgh) vielleicht einmal abgesehen. Sie sind keine Helden des Volkes, die Besseres verdient hätten, sondern haben alle ihre Macken, teilweise richtig hässliche noch dazu. Nicht wenige Zuschauer werden sich genau daran auch gestört haben, dass man hier nicht zum Mitfühlen motiviert wird, dass Cucumber insgesamt eine wenig schmeichelhafte Sicht auf die Menschen hat.

Und doch ist es eben dieses Bekenntnis zum ungeschönten Alltag, welches zusammen mit der Absurdität vieler Ereignisse die Serie auszeichnet. Man will wissen, was mit den Figuren hier als nächstes passiert. Nicht weil man sie so sehr mag, sondern weil sie einem so viel näher sind als die Reißbrett-Vorzeigeschönlinge, die sich künstliche Dramen schaffen, anstatt über das Leben zu sprechen. Ein Leben, das lächerlich sein kann, wenn wir uns durch Selbsttäuschungen und unrealistische Träume zum Affen machen. Ein Leben, das auch sehr traurig sein kann, weil wir oft nicht erkennen, was darin passiert. Es ist nicht erkennen wollen. So grotesk Cucumber mitunter auch sein mag, Davies zeigt 15 Jahre nach Queer as Folk, dass er noch immer viele intelligente Sachen zur LGBT-Szene wie auch zum Zwischenmenschlichen im allgemeinen zu sagen hat. Darüber, wie viel sich in der Zeit durch Internet und Dating-Apps sowie gesellschaftliche Änderungen wie die gleichgeschlechtliche Ehe geändert hat – im Positiven wie im Negativen. Aber auch darüber, wie wenig sich geändert hat.



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Die Protagonisten in „Cucumber“ sind oft eher unansehnlich, zeigen auch charakterlich hässliche Seiten. Das wird einige Zuschauer abstoßen, überzeugt aber gerade durch diese Mischung aus ungeschöntem Alltag und irrwitzigen Absurditäten zu einem ganz eigenen Beitrag über die LGBT-Szene.
8
von 10