Texhnolyze
© RONDO ROBE • TEXHNOLYZE COMMITEE

(„Texhnolyze“ directed by Hiroshi Hamasaki, 2003)

texhnolyzeDie Tage werden kürzer, das Wetter immer trüber. Und das schlägt sich auch in unserem fortlaufenden Animationsspecial nieder. Denn in Teil 134 präsentieren wir eine Sci-Fi-Animeserie, die wie kaum eine andere das tiefe Bedürfnis weckt, die Vorhänge zuziehen und wirklich gar nichts mehr von der Welt da draußen wahrzunehmen. Oder der da drinnen.

In der fernen Zukunft haben sich die Menschen in eine unterirdische Stadt namens Lux zurückgezogen, in der Sonnenlicht wie auch der Tag-/Nachtrhythmus künstlich geschaffen sind. Aber auch die Menschen selbst haben inzwischen viele künstliche Komponenten angenommen, vor allem in Form von speziellen Prothesen. Ichise ist einer dieser durch neueste Technik erweiterten Zeitgenossen, auch wenn das in seinem Fall unfreiwillig war: Der Boxer hat zuvor Arm und Bein verloren, die ihm durch die Texhnolyze-Expertin Eriko ersetzt wurden. Während er mit seinem Schicksal hadernd durch Lux streift, wird er in einen immer größer werdenden Strudel der Gewalt gezogen, denn drei Gruppierungen kämpfen in der Stadt um die Vorherrschaft.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Wann immer in amerikanischen Foren das Gespräch auf Texhnolyze kommt, wird gern eine Zeichnung aus den Weiten des Internets herbeigezogen. Darauf zu sehen ist ein Mann, dessen Kopf beim Schauen des Animes dem Tisch immer näher kommt, der sich betrinkt, weint oder dabei ist, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen. Und wer die Serie kennt, weiß dass das nicht übertrieben ist, denn einfach macht sie es einem als Zuschauer nicht.

Das ist an und für sich keine große Überraschung, denn hier kamen Drehbuchautor Chiaki J. Konaka und Designer Yoshitoshi ABe zusammen, immerhin zwei Drittel hinter dem Ausnahmewerk Serial Experiments Lain. Viele der dortigen Themen und Merkmale sind dann auch hier zu finden: das Szenario einer von Technik zersetzten Welt, die düstere Stimmung, das Verweigern eindeutiger Antworten. Bei Texhnolyze ist das aber noch einmal deutlich verstärkt. Das liegt zum Teil sicher auch an der erweiterten Länge, gleich 22 Folgen standen dem Team dieses Mal zur Verfügung. Eilig hat es hier dann auch niemand, in einem nur sehr gemächlichen Tempo werden Figuren, Organisationen und Hintergründe eingeführt, gleichzeitig aber auf eine Weise, dass man erst einmal nicht viel versteht.

Rund zehn Minuten dauert es, bis in Texhnolyze überhaupt mal jemand spricht. Und es sind keine Worte, die dazu geeignet wären, die Geschichte fassbarer zu machen. Zuvor sehen wir den um seine Körperteile beraubten Ichise durch die Stadt kriechen, alternativ auch durch das Labor, das ihn zu einem teilkünstlichen Menschen macht. Wie er dorthin kam, wer die Frau ist, das erfahren wir erst später. Immer wieder werden wir so Zeugen von Szenen, die im ersten Moment keinen Sinn ergeben wollen, denen man sich nur mit der Zeit und rückblickend annähern kann. Ohne dabei jemals völlig dort anzukommen. Für Menschen mit einer kurzen Aufmerksamkeitsspanne ist das Ganze Gift, aber auch Zuschauer, die sich gern in eine Geschichte kämpfen, stoßen immer wieder an Grenzen.

Es ist aber nicht nur das Rätselhaft-Langsame, wofür Texhnolyze berühmt ist, sondern gerade auch für seine Trostlosigkeit. Eine Welt, in der es kein natürliches Licht mehr gibt, ist wie gemacht für ein düsteres Setting. Und das nutzen Regisseur Hiroshi Hamasaki (Steins;Gate, Terra Formars) und das Animationsstudio Madhouse (Boogiepop Phantom, Paranoia Agent) gnadenlos aus. Keine Farbe verirrt sich hier mehr hin, selbst am „Tag“ sieht es so aus, als hätte jemand einen Schleier über alles gelegt. Andererseits: Viel zu sehen gibt es ohnehin nicht. Die Menschen sind arm, die Stadt zerfällt langsam, an jeder Ecke herrscht das Elend. Begleitet von einem atmosphärischen Soundtrack, der mal elektronisch, mal mit Jazzklängen versetzt ist, spürt man, wie hier jede Minute ein bisschen mehr der eigenen Lebensfreude verloren geht – bis zu dem Finale, das sicher zu den trostlosesten gehört, die man je in einem Anime sehen durfte.

Insgesamt ist Texhnolyze dann auch vor allem für diese düstere Atmosphäre und das interessante, wenn auch wenig zugängliche Szenario sehenswert. Kleinere Ausflüge in Richtung Philosophie gibt es, ohne aber dass man hier dem Cyberpunk-Kollegen Ghost in the Shell allzu sehr nacheifern würde, auch Action wird eher sparsam eingesetzt. Nein, hier reicht es nicht einmal mehr zu größeren Überlegungen, auch die Denkansätze ertrinken in einem Meer der grauen Hoffnungslosigkeit. Man muss sich schon darauf einlassen können, diese eigenwillige, rücksichtlsose Erzählweise, die keinem Menschen Platz lässt. Und man sollte die Zeit mitbringen, die einzelnen Episoden und das sich in vielen Details entfaltende Elend aufnehmen zu dürfen. Dann wird man mit einem Anime belohnt, der einen fasziniert und abstößt, der alles dafür tut, dass man das Weite suchen möchte, zu dem man aber am Ende doch immer wieder zurückkommt.



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„Texhnolyze“ ist sicher einer der härtesten Brocken, die man sich im Animebereich antun kann: Die Erzählweise ist vertrackt und unvollständig, das Tempo gering, die Atmosphäre bleischwer. Und doch fasziniert diese unzugängliche und düstere Science-Fiction-Serie, schickt das Publikum auf eine körperlich wie emotional fordernde Reise in eine Zukunft ohne Zukunft.
7
von 10