(„The Hakkenden“ directed by Takashi Anno and Yukio Okamoto, 1990-1995)
Wie schon zuletzt in Ghost Hound und Hinter der Gartenmauer bleiben wir auch im 132. Teil unseres fortlaufenden Animationsspecials dem düster-fantastischen Bereich der Zeichentrickkunst treu. Dieses Mal reisen wir weit in die Vergangenheit und lernen dabei Japan von einer ganz anderen Seite kennen.
Es hätte nur ein Scherz sein sollen. Und doch liegt er nun vor ihm der blutige Kopf von Kagetsura Anzai. Lange hatten dieser und Yoshizane Satomi sich im 15. Jahrhundert um die Vorherrschaft in einer Provinz Japans gekämpft, als das Schicksal der Satomis schon besiegelt schien. Da verspricht der Fürst dem Hund Yatsufusa die Hand seiner Tochter, wenn er ihm den Kopf seines Widersachers bringt. Tatsächlich gelingt dem Haustier das Unmögliche, fordert dafür aber auch die versprochene Belohnung ein. Prinzessin Fuse, fest entschlossen, dieses Versprechen zu ehren, zieht daraufhin mit Yatsufusa in die Berge, wo beide kurze Zeit später getötet werden. Doch zuvor verteilen sich die acht Perlen ihrer Kette in alle Himmelsrichtungen und werden das Leben von acht Kriegern entscheidend beeinflussen.
„Nansō Satomi Hakkenden“ ist einer der großen Klassiker der japanischen Literatur. Groß im Sinne von Bekanntheit, groß im Sinne von Umfang: 106 Bände schrieb Kyokutei Bakin von 1814 bis 1842 über die acht Hundekrieger, die letzten davon konnte der erblindete Autor nur noch diktieren. Viele Male wurde die Geschichte verfilmt, hierzulande ist die Animeversion aus den 90ern wohl die bekannteste Adaption – zumindest wer schon ein bisschen länger der japanischen Zeichentrickkunst folgt. Der Ruhm der Serie beruht zum Teil sicher auch auf dem guten Timing, dass sie zu der Zeit auf den Markt kam, als das Animeangebot hierzulande mit dem explosiv angestiegenen Bedarf kaum Schritt halten konnte. Aber selbst ohne Nostalgiebonus hat The Hakkenden bis heute eine Menge zu bieten.
Da wäre zum einen die Optik, die ihresgleichen suchte. Nicht weil sie so gut war. Nicht weil sie so schlecht war. Sie war beides irgendwie, in schneller Abfolge, mal auch zeitgleich. Tatsächlich ist der Anime bis heute ein heißer Tipp für alle, die sich für etwas experimentellere Vertreter dieses Bereiches interessieren. Hier wurde des Öfteren mal der Stil gewechselt, die grundsätzlich animeuntypisch designten Figuren sehen plötzlich ganz anders aus, die Qualität von Hintergründen und Animation schwankt beträchtlich. Das liegt sicher auch an der Entstehungsgeschichte: Über einen Zeitraum von fünf Jahren entstanden die 13 Folgen, die erste Hälfte wurde von dem Animationsstudio Artmic, die zweite von AIC (Vampire Princess Miyu, Bastard!!) produziert. Da ist es mit der Kontinuität natürlich schwierig, zumal es offensichtlich keine Vorgaben gab, wie die Protagonisten auszusehen haben. Aber selbst ohne diese kuriosen Stilwechsel ist The Hakkenden ein visuelles Fest, das viel mit Farbkontrasten arbeitet. Mit typisch japanischen Elementen wie kleinen Windrädern, Kirschblüten und Brücken. Und mit Blut.
Nein, zurückhaltend ist The Hakkenden nicht. Zwar wird es hier nicht so durchgehend brutal wie etwa beim Samurai-Kollegen Shigurui, da dürfen aber durchaus mal Köpfe und Gliedmaßen abgeschnitten werden, wenn es die Situation erfordert. Und das kommt nun mal regelmäßig vor in einer Zeit, in der sich alle bekriegen und auch übernatürliche Elemente mitmischen. Dämonen waren im alten Japan gegenwärtig, auch Flüche keine Seltenheit. Stellenweise könnte man die Serie sogar dem Horrorgenre zuordnen, so abgründig böse geht es hier zuweilen zu. Intrigiert wird natürlich auch fleißig, was anschließend wieder blutige Rache fordert.
Tugenden wie Loyalität und Glaube spielen daher eine große Rolle, allein schon, weil die acht Perlen je eine der acht Kardinaltugenden des Konfuzianismus repräsentieren. Das soll jedoch nicht bedeuten, dass der Anime uneingeschränkt konservativen Wertvorstellungen folgt, vielmehr werden diese zwischendurch auch immer wieder hinterfragt, während die acht Krieger zusammenfinden und ein gemeinsames Abenteuer erleben. Und ein paar Nebenabenteuer auch. Viel Stoff also für eine vermeintlich einfache Samuraiserie. Zu viel Stoff sogar. 13 Folgen für 106 Romane: Da darf niemand verwundert sein, wenn Teile auf der Strecke bleiben. Und so ist The Hakkenden dann neben der Optik auch für etwas anderes berühmt und berüchtigt: der nur schwer zu durchschauende Inhalt.
Dabei ist es weniger so, dass hier absichtlich Rätsel geschaffen werden, der Anime will eigentlich kein Mystery sein. Es ist der pure Platzmangel, der die Regisseure dazu zwang, vieles unausgesprochen zu lassen, vielleicht auch in der Annahme, dass das Publikum die Geschichte ohnehin schon kennt. So werden einige Figuren nicht wirklich vorgestellt, wechseln mittendrin auch schon mal den Namen. Im Zusammenspiel mit den Stilwechseln bedeutet das, dass man hier ungewöhnlich gut aufpassen muss, vielleicht zusätzlich noch ein bisschen was nachlesen, um den Überblick über das große Personenkarussell nicht zu verlieren. Wer ist wer und was ist was? Das ist oft nicht einfach zu beantworten. Aber das Eintauchen ins alte Japan, in dessen Wertvorstellungen und Mythologien lohnt sich auch zwanzig Jahre später – allein schon der dichten, von traditionellen Klängen getragenen Atmosphäre wegen.
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