What We Become
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What We Become

(„Sorgenfri“ directed by Bo Mikkelsen, 2016)

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„What We Become“ ist seit 18. November auf DVD und Blu-ray erhältlich

In der kleinen dänischen Vorstadtsiedlung Sorgenfri ist die Welt noch in Ordnung. So dachten die Bewohner zumindest. So dachte die vierköpfige Familie (Benjamin Engell, Troels Lyby, Mille Dinesen, Ella Solgaard), die dort wohnt. Aber irgendetwas scheint nicht zu stimmen: Menschen verschwinden, die Sirenen von Krankenwagen sind immer häufiger zu hören. Ein Virus soll umgehen, so heißt es im Fernsehen. Wirkliche Sorgen macht sich zu dem Zeitpunkt aber noch niemand, denn es würde bereits an Gegenmitteln gearbeitet. Als dann jedoch das Militär auftaucht und die Wohnhäuser hermetisch abriegelt, ahnen auch die letzten, dass hier etwas Übles im Gange ist.

Die Skandinavier sind düsteren Stoffen bekanntlich nicht abgeneigt. Doch während heruntergekommene Polizisten in unschöner Regelmäßigkeit um die Ecke schauen und harte Familiendramen die Abgründe der Menschen ausleuchten, ist der Schritt ins reine Horrorgenre doch vergleichsweise selten. Im dänischen When Animals Dream durften Werwölfe um einen Platz in der Gesellschaft kämpfen, das norwegische Thale – Ein dunkles Geheimnis ließ eine ebenso hübsche wie blutrünstige junge Dame los, im schwedischen So finster die Nacht nahm man sich der Vampirbrut an. Zombies? Die haben im nordischen Gruselkabinett noch gefehlt. Der Däne Bo Mikkelsen versucht hier eine wichtige Lücke zu schließen, was ihm auch gelingt – teilweise zumindest.

Wer einen Zombiefilm der Zombies wegen sehen will, der ist hier eigentlich an der falschen Adresse. Nicht nur, dass die faulig-gehirntoten Bestien kein einziges Mal beim Namen genannt werden, es scheint sich bei der dänischen Variante auch um ein besonders schüchternes Exemplar zu handeln. Lange Zeit ist keines der Monster zu sehen, man hört sie vielleicht nachts herumkratzen, darf an einer Stelle erfahren, dass sie beim Töten von Menschen nicht viel Wert darauf legen, die Wohnungseinrichtung vor Blutflecken zu schützen. Der Tötungsakt selbst bleibt jedoch außer Reichweite der Kamera, lediglich die Schreie verraten, was hier gerade vor sich geht.

Davon wissen die Protagonisten natürlich nichts. Und genau das macht irgendwo den Reiz von What We Become aus: Hier geht es nicht um verkappte Helden, die sich gegen Heerscharen von Monstern zur Wehr setzen. Eigentlich weiß man hier nicht einmal so genau, wer das größere Monster ist: die Zombies selbst oder der Staat, der seine Bürger in Häuser einschließt, ihnen nicht einmal sagt, was eigentlich vorgefallen ist. Dass es hier um einen Virus geht, der Menschen sich gegenseitig fressen lässt, ist fast schon nebensächlich, der Film funktioniert auch als Kritik einer Gesellschaft in Not. Medien und Politik verheimlichen selbst Betroffenen, was vor sich geht – angeblich, um eine Panik zu vermeiden –, die Soldaten erschießen lieber gleich, bevor unangenehme Fragen aufkommen.

Auch deshalb schon überzeugt What We Become durch seine Atmosphäre: Das Gefühl, dass sich da eine Schlinge immer enger um den Hals legt, ist umso stärker, da die Familie, aus deren Sicht die Vorkommnisse erzählt werden, immer weiter ins Haus zurückgedrängt wird. Alles wird mit der Zeit zu einer Bedrohung: die Soldaten, die Nachbarn, die eigene Familie. Schutz gibt es keinen, aber auch kein Entkommen. Wir erfahren ja nicht einmal, was diesen Virus ausgelöst hat. Nur zum Ende hin rettet sich der bis dato eher auf eine beklemmende Stimmung vertrauende Genrevertreter in actionreichere Gefilde, ohne dabei seine eher auf Figuren bezogene Geschichte zu vergessen: In dem Film gibt es keine Helden, am Ende ist sich fast jeder selbst der nächste. Die ist insgesamt natürlich nicht neu, wer vom skandinavischen Kino neue Impulse für das bestens abgegraste Zombie-Subgenre erwartet hat, muss woanders weitersuchen. Aber es ist ein guter Vertreter, den Mikkelsen hier bei seinem Spielfilmdebüt abgeliefert hat, der Beitrag der Fantasy Filmfest Nights 2016 ist ein unangenehmer kleiner Film über eine Nachbarschaft und eine Gesellschaft, die auseinanderbricht und sich gegenseitig zerfleischt.



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Der dänische Zombie ist nicht wirklich anders, als man ihn aus anderen Ländern kennt, zeigt sich in „What We Become“ auch auffallend wenig. Dafür gefällt der kleine Horrorstreifen durch seine beklemmende Atmosphäre über eine kleine Vorstadt, in der niemand sicher ist – nicht vor sich, vor dem Monster, vor dem Staat.
7
von 10