(„Desde Allá“ directed by Lorenzo Vigas Castes, 2015)
Nur kucken, nicht anfassen! Es ist schon eine etwas verwirrende Erfahrung, welche die jungen Männer da machen, die Armando (Alfredo Castro) mit zu sich nach Hause nimmt. Sie sollen sich für Geld nackt ausziehen, während er selbst masturbiert. Mehr verlangt er nicht. Für die meisten ist das guter Nebenverdienst, nur Elder (Luis Silva) ist selbst das zu viel. Anstatt dessen Wünschen nachzugeben, schlägt er Armando lieber zusammen und raubt ihn aus. Doch das weckt erst recht die Begierde in dem deutlich älteren Mann. Und so beschließt er, seinen Angreifer zu verfolgen und Zeit mit ihm zu verbringen.
Südamerika, da werden viele sicher erst einmal Bilder voller Lebensfreude oder ursprünglicher Natur vor dem geistigen Auge haben. Dass der Alltag oft aber ganz anders aussieht, das haben zuletzt eine Reihe von Filmemachern bewiesen. Wie kürzlich bei Pelo Malo etwa zeichnet der argentinische Regisseur und Drehbuchautor Lorenzo Vigas Castes hier ein äußerst düsteres Bild von Caracas. Wärme? Zuneigung? Beides ist hier fehl am Platz, es sind Geld, manchmal auch körperliche Stärke, die einen in der heruntergekommenen Metropole überleben lassen. Eine Stadt, in der jeder verzweifelt sucht und kämpft, nach sich, nach anderen, nach einem Ort, wo er bleiben kann.
Armando geht es dabei noch recht gut, als Zahntechniker hat er es zu einer Menge Geld gebracht. Geld, das er nutzen könnte, um sich die Nähe zu anderen Menschen zu kaufen. Das tut er auch, gleichzeitig aber auch wieder nicht. Warum er diesen letzten Schritt nicht geht, sich die Illusion von Zuneigung erkauft, dieser aber nicht bis zum Ende folgt, das verschweigt uns Castes wohlweislich. Allgemein zieht er es vor, seine Geschichte im Vagen zu lassen, nur mit Blicken und Mimik zu arbeiten, mit Distanz und Unschärfe zu spielen. Immer wieder kreisen Armando und sein jugendlicher Fast-Liebhaber Elder umeinander, von Sehnsucht getrieben, aber auch inneren Dämonen.
Das muss man nicht alles plausibel finden, gerade im ganz gern mal auf hedonistische Lebensweisen ausgerichteten LGBT-Bereich verwundert es manchmal sogar, wie hier miteinander umgegangen wird. Woher die Aggression? Warum kehrt Armando ausgerechnet zu jenem jungen Mann zurück, der ihn misshandelt hat? Wir wissen es nicht, können höchstens mutmaßen, was in den beiden vor sich geht. Eine Andeutung hier, ein Halbsatz da, mehr gibt einem Castes bei seiner Reise durch die argentinischen Abgründe nicht mit auf den Weg, um die Hintergründe der einzelnen Situationen zu verstehen.
Protagonisten so unnahbar zu machen, es dem Zuschauer fast schon zu verweigern, einen Einblick zu gewinnen, das kommt in einem Drama meist einem Todesurteil gleich. Doch bei Caracas, eine Liebe passt es. Mehr noch, der Debütfilm zieht sogar seine Kraft daraus, dass er Figuren und Publikum mit sich alleine lässt, im Dunkeln, in der Kälte. Wenn Castes seinen Blick auf ein etwas anderes Verhältnis zweier Menschen wirft, das ständig zwischen Missbrauch, Freundschaft, Wut, Verlangen und Fürsorglichkeit zu schwanken scheint, dann tut er es ohne Verschönerung, aber auch ohne unnötiges Melodram. Ruhig, ohne Musik, zuweilen einem Dokumentarfilm nahe erzählt der Film die Geschichte eines Paares, das keines ist, und einem Umfeld, das dieses gar nicht wollte. Schön ist das nicht, eher traurig, trotz einer allmählichen Annäherung bleibt hier jeder ein Fremder, das Glück irgendwo in den ärmlichen und brutalen Straßen von Caracas verloren.
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