(„Narcos – Season one“ directed by José Padilha, Guillermo Navarro, Andi Baiz and Fernando Coimbra, 2015)
Warum seine Zeit mit Alkohol, Elektronik oder Marihuana verschwenden, wenn es viel lukrativere Schmugglerware gibt? Es braucht nicht viel Überzeugungsarbeit, um Pablo Escobar (Wagner Moura) das Potenzial der neuen Modedroge Kokain aufzuzeigen. Als der Kolumbianer Ende der 1970er beginnt, die süchtig machende Substanz heimlich in die USA zu schaffen, fließt das Geld in kaum zu bewältigenden Strömen – was zum einen an dem Einfallsreichtum des Kartells liegt, zum anderen an der Brutalität und Rücksichtslosigkeit, mit der Escobar vorgeht. Doch damit schafft er sich zahlreiche Feinde aus den unterschiedlichsten Bereichen, darunter Steve Murphy (Boyd Holbrook) und Javier Peña (Pedro Pascal) von der amerikanischen Drogenvollzugsbehörde, den Politiker César Gaviria (Raúl Méndez), den Polizeichef Horacio Carrillo (Maurice Compte) sowie diverse kolumbianische Konkurrenten im Drogengeschäft.
Wer mit illegalen Aktivitäten seine Brötchen verdient – oder wie hier seinen Hummer –, der ist meistens darauf bedacht, nicht allzu sehr in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu geraten. Bei Pablo Escobar war das anders. Der gehörte mit einem geschätzten Vermögen von 30 Milliarden Dollar Anfang der 1990er nicht nur zu den reichsten Verbrechern der Welt, sondern auch zu den schillerndsten. Ganz so weit reicht die erste Staffel von Narcos zeitlich noch nicht, sie befasst sich vielmehr mit den Anfängen des Drogenbarons, erzählt von dessen Aufstieg, aber auch von seinen täglichen Kämpfen mit Konkurrenten und Feinden sowie seinen täglichen Kämpfen mit dem eigenen Ego.
Tatsächlich hätte man die Serie auch einfach Escobar nennen können, den an dem führt hier kein Weg vorbei. Das funktioniert, gerade eines faszinierend-abstoßen aufspielenden Wagner Mouras wegen, der für seine Rolle auch eine Golden-Globe-Nominierung abstauben konnte. Diese starke Fokussierung ist manchmal aber auch eine kleine Schwäche, denn bei jeder der Figuren wurde nur darauf geachtet, wie sie sich bei dem engen Gestrüpp von Verbrechen, Politik und Behörden gegenüber dem Verbrecherboss positionieren. Für eine eigene Persönlichkeit, die über Klischees hinausläuft, reicht es meistens nicht, über die meisten erfährt man nichts. Dafür vermeidet es die von Netflix produzierte Sendung, zu sehr in den üblichen Schwarz-Weiß-Schemata zu malen: Bei Narcos wird vor allem mit Grautönen gearbeitet, der Protagonist hatte bei aller Abscheulichkeit auch noblere Pläne für sein Land, seine Jäger zeigen im Verlauf der zehn Episoden immer weniger Skrupel, um an ihr Ziel zu kommen.
Doch trotz der nur wenig eindeutigen Identifikationsfiguren und der an und für sich bekannten Geschichte – jeder weiß, dass es mit Escobar kein gutes Ende nahm –, ist die erste Staffel doch eine wahnsinnig spannende Angelegenheit. Von der ersten Folge an will man wissen, wie es eigentlich dazu kam, mit welchen Mitteln und Wegen Escobar sein Imperium aufbaute und später wieder verlor. Den Machern gelang bei der Wiederaufbereitung eine geschickte Mischung aus Fakten und Fiktionen, belegen einige der wahren Ereignisse mit tatsächlichen Archivaufnahmen auf Fernsehen oder Zeitungen. Die große Authentizität liegt aber auch darin begründet, dass fast ausschließlich mit südamerikanischen Schauspielern gearbeitet wurde und sowohl im englischen Original wie auch in der deutschen Synchronisation die Protagonisten auf Spanisch sprechen.
Große Ausnahme bildet hier natürlich Agent Murphy, der als Gringo stellvertretend für die Reibungen zwischen Kolumbianern und den US-Amerikanern auftritt, zusammen mit seiner Frau Connie (Joanna Christie) erst noch den Zugang zu Land, Leuten und Sprache finden muss. Als Erzähler der Geschichte nimmt er sogar eine kleine Sonderstellung ein, kommentiert die Ereignisse mit einer erschreckenden Abgebrühtheit, gibt immer wieder auch kleine Ausblicke auf das, was später noch kommen wird. Das ist manchmal komisch, gerade bei den absurderen Passagen, wenn Escobar völlig die Bodenhaftung verliert und zu einem unberechenbaren Egomanen mutiert ist. Manchmal geht es aber auch durch Mark und Bein, wie wenig ein Leben in dem Land zählt. So oder so macht es neugierig auf das, was ihn und uns in der bereits produzierten zweiten Staffel noch alles erwartet.
(Anzeige)