(„Remainder“ directed by Omer Fast, 2015)
Was nur ist mit Tom (Tom Sturridge) geschehen? Irgendetwas muss ihn am Kopf getroffen haben, so viel ist klar. Und es muss etwas gewesen sein, von dem niemand etwas erfahren darf, sonst wäre ihm nicht diese hohe Summe an Schweigegeld angeboten worden. Sein Freund Greg (Ed Speleers) hat diesen Deal wohl eingefädelt. Aber ist er wirklich sein Freund? Erinnern kann er sich weder an ihn, noch an die geheimnisvolle Catherine (Cush Jumbo) oder sonst etwas, das vor seinem Unfall passiert ist. Nur einzelne Fetzen von Bildern sind ihm geblieben. Um diese zusammenzusetzen, beschließt er die verbliebenen Erinnerungen nachspielen zu lassen und so zu rekonstruieren, was wirklich passiert ist.
Irgendwie scheint es Omer Fast ja zu haben mit dem Thema Erinnerung und mit sich wiederholenden Schleifen. Kürzlich lief sein Continuity in den Kinos, eine Erweiterung eines alten Kurzfilms, in dem zwei Menschen ihren vermutlich im Krieg gestorbenen Sohn durch diverse Schauspieler ersetzen. Und auch in Remainder, das Spielfilmdebüt des israelischen Videokünstlers, lässt er Vergangenes wiederaufleben, Grenzen verschwinden und Identitäten konstruieren, bis man nicht mehr weiß, wo oben und unten, wo gestern und heute sind.
Die Ausgangssituation ist dabei eine recht klassische, wie sie in vielen Thrillern gern eine Anwendung findet: Der Protagonist erwacht ohne Erinnerungen, muss seine Vergangenheit und sich selbst mühselig zusammensetzen, während irgendwelche sinisteren Kräfte in den Schatten lauern. Dazu gibt es das Spiel mit Wahrnehmungen und immer wieder geschickt gesäte Zweifel, ob die angeblichen Freunde das sind, was sie vorgeben, oder nicht vielleicht doch zur Gegenseite gehören. Was auch immer diese nun sein mag.
Das ist hier grundsätzlich recht ähnlich, bekommt durch einen Mord und einen Banküberfall im weiteren Verlauf noch mehr Krimianstrich. Und doch ist der auf dem gleichnamigen Debütroman von Tom McCarthy basierende Film gar nicht so sehr an der Auflösung des Rätsels bzw. der Aufklärung der dunklen Machenschaften interessiert. Immer wieder tut Remainder zwar so, als wäre das Licht am Ende des psychologischen Tunnels ganz nah, als müsste sich Tom nur ein kleines bisschen mehr anstrengen, als würde nur ein kleines Detail noch fehlen. Doch anstelle der ersehnten Antworten trifft man dort neue Fragen. Und auch wieder die Fragen, die man doch zuvor schon mal gestellt hat. Oder vielleicht doch nicht?
Der Fokus von Fasts Dramathriller liegt dann auch vielmehr auf der Figur, die in dieser Endlosschleife gefangen ist. Wie geht man damit um, wenn die eigene Erinnerung verschwunden, niemand dir sagen will, was eigentlich vorgefallen ist? Im Fall von Tom ist die Antwort eine, die nicht jedem gefallen wird: Wo dem gebrochenen jungen Mann, der sich wie ein im Stich gelassener Kriegsveteran durch das Leben kämpft, anfangs noch die Sympathien zufliegen, macht er im Laufe der rund anderthalb Stunden eine faszinierende Entwicklung durch. Je stärker er nach seiner Vergangenheit sucht, je größer seine Obsession wird, umso stärker verschwindet das Hier und Jetzt. Und auch die Menschen. Eigentlich ist es Tom relativ egal, was mit anderen geschieht, bei der Rekonstruktion seines Ichs geht er auch schon mal über Leichen.
Das ist fesselnd und frustrierend zugleich, raubt einem mit der Zeit nicht nur jegliche Gewissheit über das, was ist, sondern auch noch die Identifikationsfigur als letzten Anker im wirren Strudel aus realen, erinnerten und vorgespielten Szenen. Dass Remainder dabei sehr gut aussieht, überrascht nicht angesichts des Machers auf dem Regiestuhl, die Optik unterstützt die surreale Sinnsuche noch weiter. Es soll die einzige Nicht-Überraschung sein in einem Film, der wie gemacht dafür ist, anschließend stundenlang mit anderen darüber zu diskutieren. Darüber, was das hier alles zu bedeuten hat. Und darüber, wie sich Erinnerungen und Persönlichkeiten zusammensetzen.
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