(„Toni Erdmann“ directed by Maren Ade, 2016)
Unterschiedlicher könnten die beiden nicht sein: Während der 65-jährige Musiklehrer Winfried (Peter Simonischek) sein Umfeld immer wieder durch harmlose und recht alberne Scherze zu erheitern versucht, ist seiner Tochter Ines (Sandra Hüller) nur selten zum Lachen zumute. Vielmehr sind Fleiß und Durchsetzungskraft gefordert, wenn sie als Unternehmensberaterin Karriere machen will. Und das will sie, um jeden Preis. Deswegen kann sie auch nicht viel damit anfangen, als ihr Vater sie plötzlich in Bukarest besucht, wo sie kurz davor ist, einen wichtigen Deal abzuschließen. Noch schlimmer wird es jedoch, als er beginnt, in einer seiner grotesken Verkleidungen und als angeblicher Coach Toni Erdmann auch in ihrem Geschäftsumfeld aufzutauchen.
Man konnte sie ja irgendwann nicht mehr hören, die ganzen Lobhudeleien. Mochte nicht mehr die vielen Kritiken lesen, die Maren Ades neuen Film Toni Erdmann zu nicht weniger als dem Retter des deutschen Kinos erklärt haben. Einer, dessen Niederlage bei Cannes eine mindestens ebenso große kosmische Ungerechtigkeit war wie das Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft bei der EM. Und als wäre das nicht alles schon unsympathisch genug, wagt es die deutsche Filmemacherin ihre Tragikomödie 162 Minuten lang zu machen, was es normalerweise nur bei Bombast-Blockbustern zu ertragen gilt. Allein deshalb schon ist man ein wenig versucht, den Film nicht zu mögen. Das Problem ist jedoch: Man mag ihn trotzdem, sogar noch ein bisschen mehr als das, denn er schafft das Kunststück, gleichzeitig komplett dem Alltag entnommen und doch wieder ganz anders zu sein.
„Die Hauptdarstellerin ist aber nicht wirklich schön“, sagte jemand neben mir, während der Film lief, und brachte damit auf den Punkt, was Toni Erdmann auszeichnet: Das ist nicht wirklich schön. Die Figuren haben alle etwas unsympathische Züge an sich, es mangelt ihnen wie bei Winfried an Feingefühl, Ines beißt und verbiegt sich durch die Gegend, um die Karriereleiter nach oben zu purzeln, ihr mehr oder weniger geheimer Kollegen-Liebhaber Tim (Trystan Pütter) ist für uns nicht mehr als ein selbstverliebter Yuppie-Schnösel, auch Chef Gerald (Thomas Loibl) tut nicht viel dafür, dass man mit ihm ein Bier trinken gehen wollte. Aber um Sympathien geht es eben nicht in dem Unternehmen, sondern darum, möglichst viele Menschen auf die Straße zu setzen, ohne dafür schlechte Publicity zu bekommen.
An vielen Stellen ist Toni Erdmann daher auch eine satirisch angehauchte Abrechnung mit der Geschäftswelt. Eine, in der der Schein alles ist, das Individuum nicht wirklich viel zählt. Und vor allem eine, in der eine Frau nicht viel zählt. So befremdlich, gar unangenehm die kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehende Ines manchmal daher kommt, wer ein bisschen Zeit mit ihr und dem beruflichen Umfeld verbringt, ahnt dass nicht wenig davon durch außen bestimmt wurde. Sich als Unternehmensberaterin um die Shoppingwünsche einer Ehefrau kümmern zu müssen, das ist ein nicht mal ansatzweise versteckter Sexismus, der trotz aller Fortschritte zur Gleichberechtigung unbekümmert weiterlebt. Und darauf heißt es reagieren: treten oder getreten werden.
Es sind viele kleine Details drum herum, mit denen Ade ihre an und für sich simple Geschichte um ein entfremdetes Vater-Tochter-Gespann anreichert und zeigt, dass das Leben oft nicht so simpel ist, wie man es gern hätte. Und wie es andere Filme vorgeben zu sein. Hier gibt es keinen Wohlfühlkitsch à la Willkommen bei den Hartmanns, kein dröhnender Powerpop, um schwierige Momente zu überdecken. Ruhig, bedächtig, dafür umso präziser legt Toni Erdmann frei, was sich zwischenmenschlich alles ansammeln kann. Das ganz große Melodram erspart uns die deutsche Regisseurin und Drehbuchautorin, vielmehr geht sie trotz allen Ernstes mit erstaunlich viel Humor an die Sache. Skurril ist das Aufeinandertreffen der Kunstfigur Toni und der realen Welt mindestens, manchmal gar etwas surreal. Und doch etwas, das man zu jeder Zeit nachvollziehen kann.
Die hohen Vorschusslorbeeren bringen deshalb einen etwas zwiespältigen Geschmack mit sich. Auf der einen Seite lockte Toni Erdmann viele Hunderttausend Zuschauer in die Kinos, viele davon hätten sich sonst kaum für den Film interessiert. Auf der anderen Seite dürfte die groteske Verkleidung Erwartungen geschürt haben, gerade auch was den Humor betrifft, den der Film nie erfüllen wollte. Die Tragikomödie ist eigentlich ein ganz kleiner, zurückgenommener Film, aber genau darin sehr groß und dem Hype dadurch gleichzeitig gerecht und auch wieder nicht. So wie Toni Erdmann insgesamt aus dem Leben plaudert und es nicht tut, uns näher ist, als wir es vielleicht wollen, und dabei dem Alltag bekannte wie spannende Details entlockt.
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