(„Meitantei Konan: Baker Street no Bourei“ directed by Kenji Kodama, 2002)
Es ist schon ein sehr exklusives Vergnügen, das den Detective Boys und Ran da zuteil wird – und ein sehr kurzes. Gerade einmal 50 Kinder wurden eingeladen, um das neue Virtual-Reality-Game „Cocoon“ zu testen. Die unterschiedlichsten Szenarien von einer Mörderjagd im London des 19. Jahrhunderts über eine Rallye-Dakar-Fahrt bis zu einem Ausflug ins Kolosseum stehen als täuschend echte Simulation zur Verfügung. Was Conan und die anderen im Moment nicht ahnen: Der Chefentwickler wurde kurz vor dem Start des Testspiels ermordet. Und auch sie selbst schweben in Lebensgefahr, denn wenn es keiner der 50 bis ans Ziel schafft, werden alle Kinder getötet.
Moment, etwa DIE Baker Street? Bei Titel des sechsten Kinofilms rund um Gosho Aoyamas Detective Conan werden Krimifreunde hellhörig, wohnt in der besagten Straße doch niemand Geringeres als Sherlock Holmes. Und tatsächlich darf der japanische Meisterdetektiv zusammen mit seinem englischen Kollegen einen Fall lösen, einen sehr berühmten sogar: Jack the Ripper. Nicht nur Puristen könnte an der Stelle kurz der Atem stocken: die Mangafigur, Arthur Conan Doyles Romanheld und der real existierende Serienmörder zusammen in einem Film? Ist das nicht vielleicht ein bisschen viel auf einmal?
Fans der bisherigen Auftritte von Conan werden sich daran aber wohl weniger stören, denn die sind es inzwischen gewohnt, dass die Filme nicht sonderlich viel Sinn ergeben und gerne over the top sind. Da ist es dann fast schon konsequent, wenn Sci-Fi-Virtual-Reality auf eine neblige 19-Jahrhundert-Mörderjagd trifft, das Ganze auch noch mit einer dezenten Gesellschaftskritik und den obligatorischen, nicht aus dem Japanischen zu übersetzenden Rätseln kombiniert wird. Letztere sind hier dieses Mal stark zurückgenommen, plausibler werden die Ermittlungen dadurch aber auch nicht. Aus heiterem Himmel findet der zum Kinde geschrumpfte Detektiv immer die Lösungen, ohne dass es einen erkennbaren oder gar selbst auffindbaren Weg dorthin gäbe. Und als wäre diese Willkürlichkeit nicht schon schlimm genug, ist das Motiv des Täters ausgesprochen bizarr, taugt keinesfalls dazu, den Mord zu erklären.
Wenn Mystery-Roman-Autor Hisashi Nozawa, der hier für das Drehbuch verantwortlich war, die Lächerlichkeit der Geschichte wenigstens mit offenen Armen angenommen und eine Parodie à la Eine Leiche zum Dessert draus gemacht hätte, die sonderbaren Einfälle hätten tatsächlich unterhaltsam sein können. In dieser ernst gemeinten Form, die nahe am Trash ist, ist das jedoch maximal unfreiwillig komisch. Immerhin zaubert Das Phantom der Baker Street den Verbrecher ausnahmsweise nicht aus einem Zylinder hervor, sondern verrät gleich zu Beginn, wer, wie, wann, wo, wen umgebracht hat.
Allgemein verschwendet der Anime nicht viel Zeit, relativ bald schon finden wir uns in der virtuellen Nachbildung des historischen Londons wieder. Das ist insofern eine gute Nachricht, da Langzeitstudio Tôkyô Movie Shinsha eine recht atmosphärische Version von Englands Hauptstadt auf die Leinwand zauberte. Umso bedauerlicher ist es dann auch, dass das zumindest theoretische Potenzial einer Anime-Fassung von Sherlock Holmes derart ignoriert wurde, der Meisterdetektiv hier nur einen kleinen Gastauftritt hat, Watson fehlt sogar völlig. Dafür dürfen Conans Eltern erstmals im Kinoformat mit Rat und Tat zur Seite stehen und dafür sorgen, dass der Filius ausnahmsweise mal nicht alles im Alleingang macht. Das gibt ein paar Sympathiepunkte, aber derer nicht genügend, um die diversen Schwächen des kuriosen Drehbuchs auszugleichen.
(Anzeige)