Liebmann
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Liebmann

(„Liebmann“ directed by Jules Herrmann, 2016)

„Liebmann“ läuft ab 26. Januar 2017 im Kino

Einfach weg, woanders noch mal von vorne anfangen, das war die Hoffnung von Antek Liebmann (Godehard Giese). Und so packte der Lehrer seine Siebensachen, ließ seine alte Heimat weit hinter sich und zog in ein kleines Dorf in Nordfrankreich. Dort wird er durchaus mit offenen Armen empfangen. Von seiner attraktiven Nachbarin Genevieve (Adeline Moreau) beispielsweise, mit der er sehr viel Zeit verbringt. Und von Sébastien (Fabien Ara), dem er eines Tages im Laden begegnet und mit dem er eine Affäre beginnt. Aber es sind nicht die beiden, die ihn nachts daran hindern, Schlaf zu finden. Sondern etwas anderes. Etwas, das mit den seltsamen Morden im nahegelegenen Wald zu tun hat. Und mit seiner Vergangenheit.

Es soll ja Filme geben, die mit großen Wendungen arbeiten, um eine mysteriöse Stimmung zu erschaffen, mit schwarz gekleideten Herren im Schatten oder amnesiegeplagten Protagonisten. Jules Herrmann tut das bei ihrem Spielfilmdebüt Liebmann nicht. Ihre reichen sehr viel kleinere, bescheidenere, subtilere Elemente, um dem Zuschauer ein Fragezeichen auf die Stirn zu zaubern. Oder auch mehrere. Das ist kein Wunder, zumindest für diejenigen, die vor rund zwei Jahren die Kunstgroteske Art Girls gesehen haben, wo die deutsche Filmemacherin als Regieberaterin tätig war. Ganz so zusammenhangslos seltsam wie dort wird es hier zwar nicht, denn immerhin gibt es eine Geschichte, so rudimentär sie auch sein mag. Ein bisschen verwirrt wird man hier aber schon.

Ein Beispiel: Kurz nachdem Antek in seine neue Wahlheimat gezogen ist, macht ihm die schöne Nachbarin schöne Augen. Eigentlich eine klare Sache, möchte man meinen, Liebmann bringt nicht nur den Namen, sondern auch alles andere für ein kleines Techtelmechtel mit. Bis unser Protagonist auf einmal mit Sébastien ins Bett steigt. Sehr spontan, irgendwie beiläufig, ohne dass es zuvor Anzeichen dafür gab. So wie es hier selten Anzeichen für das gibt, was als nächstes kommt. Das mag auch an der Entstehungsgeschichte des Films liegen, der nur mit groben Ideen, dafür aber viel Mut zur Improvisation beim Dreh zur Sache ging. So oder so kann man sich vielem nicht ganz sicher sein, nicht der Titelfigur, nicht dessen Umfeld, nicht einmal des Genres.

Am ehesten würde man noch Drama dazu sagen, denn mit einem solchen beginnt die Geschichte von Antek – auch wenn wir das erst viel später erfahren. Dazwischen gibt es geheimnisvolle Schüsse, Morde sogar, ein unbekannter Irrer treibt sein Unwesen. Und eigentlich sollte man auch hier erwarten, dass dieses Szenario eine wichtige Rolle spielen wird. Das hat es aber maximal nebenbei, eher zufällig. Was auch aufgrund der unheimlichen Musik wie ein Psychothriller wirkt, interessiert sich gar nicht so sehr dafür, was da in Frankreichs Wäldern sein Unwesen treibt. Oder warum.

Das ist einerseits faszinierend, spannend sogar, da man trotz allem wissen will, was dahinter steckt. Wer ist Antek? Was will er? Weshalb ist er in Frankreich? Antworten darauf gibt es, die sind allerdings nicht ganz so interessant, wie es einem der atmosphärisch dichte und experimentierfreudige Streifen vorher weismachen will. Andererseits ist Liebmann ein bisschen viel Film um nichts, wird Zuschauer auf der Suche nach einer Handlung unbefriedigt zurücklassen. So sehenswert diverse Szenen auch sind, zwischen rührend, komisch, zum Ende hin auch erschreckend, es bleiben Szenen, die eher für sich stehen, anstatt ein großes Ganzes zu ergeben. Die eher mit sich selbst beschäftigt sind als einem Publikum, das da draußen sitzt und zuschaut.



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Trauma-Drama, LGBT-Romanze, Psycho-Thriller, irgendwie hat „Liebmann“ von allem ein bisschen, ohne sich aber für eine Sache entscheiden zu wollen. Das ist streckenweise faszinierend, als Gesamtfilm gerät die Geschichte aber aufs Nebengleis.
6
von 10