Tarzan
© Disney

(„Tarzan“ directed by Kevin Lima and Chris Buck, 1999)

Lange hielt die Freude nicht an: Zwar schaffte es das englische Ehepaar zusammen mit ihrem neugeborenen Sohn ans Land, nachdem ihr Schiff untergegangen war. Sie bauten sogar eine Baumhütte mitten im afrikanischen Regenwald. Doch dann fielen sie der Leopardin Sabor zum Opfer. Und beinahe hätte es auch der Junge nicht überlebt, wäre ihm nicht die Gorilladame Kala zur Hilfe geeilt. Mehr noch: Trotz des Widerstandes von deren Mann Kerchak darf sie das Findelkind behalten und aufziehen. Jahre später ist der auf den Namen Tarzan getaufte Junge zu einem kräftigen Mann herangewachsen, als sich die Vergangenheit zurückmeldet. Nicht nur dass Sabor wieder auftaucht, eine Gruppe von Menschen hat begonnen, den Dschungel zu erkunden – darunter der Affenforscher Archimedes Porter und dessen Tochter Jane.

Eigentlich war das eine Kombination, die so naheliegend war, dass man sich seinerzeit fragen musste, warum sie erst jetzt zusammenkamen: Disney und Tarzan. Der berühmte Roman von Edgar Rice Burroughs war schon diverse Male verfilmt worden. Und wenn der Mäusekonzern eines für seine Animationssparte liebte, dann waren es bewährte Stoffe. Ein weiterer Pluspunkt: Die tierischen Comic-Relief-Sidekicks, die in keinem Zeichentrickwerk der Amerikaner fehlen durften, mussten dieses Mal nicht erst hinzugefügt werden. Denn die waren schon in der Vorlage. Gewissermaßen.

Ganz lassen konnte man es natürlich nicht, die 1912 erstmals erzählte Geschichte ein bisschen an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Und auch dabei hatte Disney nie besonders viel Skrupel gehabt. Wer sonst wäre auf die Idee gekommen, bei Der Glöckner von Notre Dame einen düsteren Literaturklassiker in ein Kindermusical zu verwandeln? Und so wurden auch hier fleißig Figuren modifiziert, nicht zuletzt Tarzan selbst, dessen noble Herkunft auf einmal völlig verschwand. Eigentlich weiß in Tarzan niemand, woher der Junge kam und wer er ist. Auch die Kannibalen sind nirgends mehr zu finden, was sicher zum einen der politischen Korrektheit geschuldet war, aber auch dem inständigen Wunsch, ein junges Zielpublikum anzusprechen, das anschließend auch den ganzen Merchandisingkram kauft. Und so hieß es dann bye bye Menschenfresser, willkommen paranoide Elefanten und willensstarke Affenmädels.

Aber warum auch nicht? Ausdrucksstarke Figuren aus dem Tierreich waren ja immer eine Spezialität von Disney gewesen, die viele der Geschichten deutlich aufwertete. Nur gibt es bei Tarzan hier zwei Probleme. Zum einen muss der Film aufgrund seines Settings zwangsweise den Vergleich mit dem großen hauseigenen Klassiker Das Dschungelbuch antreten. Und das ist einer, den jeder scheuen dürfte. Sonderlich glücklich geht der hier auch nicht aus, trotz einer gewohnt namhaften Sprecherbesetzung im Original (u.a. Glenn Close und Rosie O’Donnell) fehlt es den an und für sich witzigen Tieren an der überbordenden Persönlichkeit ihrer Vorfahren. Dass Tarzan und Jane selbst eher langweilig sind, unterstreicht den Eindruck noch weiter, hier einen etwas faden Vertreter aus der zweiten Reihe vorzufinden.

Das zweite Problem ist, dass man bei Disney nach den großen Erfolgen der ersten Renaissance-Titeln Arielle, die Meerjungfrau und Die Schöne und das Biest ein bisschen zu sehr darauf achtete, wirklich von allem etwas zu haben und damit keinen potenziellen Zuschauer auszusparen. Das bedeutete von Action über Slapstick bis zu Drama nichts auszulassen. So nett der Gedanke auch ist, sich hier für das Wohl von andersartigen Wesen einzusetzen – Tarzan handelt unter anderem von (Selbst-)Akzeptanz –, da wird nicht an Kitsch gespart, um die Nachricht möglichst schnell unters Publikum zu bekommen. Schließlich standen nur anderthalb Stunden zur Verfügung, da blieb keine Zeit für eine echte Entwicklung.

Manchmal brauchte es da sogar die Hilfe der Musik: Phil Collins Schnulzen, die sich offensichtlich an denen aus Der König der Löwen orientierten, ersetzen zuweilen den Erzähler, singen das, was Handlung und Dialoge nicht vermitteln. Kommerziell ging die Betonung des Soundtracks auf: Er verkaufte sich allein in den USA 2,5 Millionen Mal, war zudem mal wieder für einen Oscar gut. Wer mit seichtem Adult-Contemporary-Pop aber nichts anfangen kann, der sollte hier besser an mehreren Stellen die Ohren zuhalten. Besser sieht es bei der optischen Umsetzung aus. Hier konnte man anhand der neu entdeckten Liebe zu Computergrafiken beeindruckende Kamerafahrten durch den Dschungel realisieren. Und auch wenn manches davon inzwischen dann doch wieder veraltet ist, die Kraft und Flüssigkeit, mit der Tarzan und seine Freunde durch den dichten Wald hechten, die lässt einen immer noch etwas sprachlos zurück. Und so ist der 37. Teil der Disney-Meisterwerke allein deshalb schon ein guter und würdiger, selbst wenn vieles hier zu sehr auf Nummer sicher geht, das Wild-Entfesselte des Dschungels und der Vorlage zu einer familienfreundlichen Kaffeefahrt wurde.



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Disneys Version des berühmten Buches ist wie zu erwarten weniger wild als die Vorlage, geht an vielen Stellen lieber auf Nummer sicher und versucht es allen recht zu machen. Unterhaltsam ist der Zeichentrickfilm dann auch, abgesehen von den dynamischen Kamerafahrten gibt es aber wenig, was ihn im Vergleich zu den vielen Kollegen auszeichnet.
7
von 10