(„The Eyes of My Mother“ directed by Nicolas Pesce, 2016)
Plötzlich war er da, dieser Fremde namens Charlie (Will Brill), und bat darum, eingelassen zu werden. Misstrauisch war die Frau des Hauses, ja, ließ sich aber doch dazu überreden, dass er das abgelegene Heim ihrer Familie betritt. Als ihr Mann (Paul Nazak) zurück kommt, ist bereits alles zu spät, der Fremde hat seiner Mordeslust bereits freien Lauf gelassen. Dafür wird er nun selbst gefangen genommen. Jahre später ist er noch immer dort, doch jetzt ist es die zur jungen Frau herangewachsene Tochter Francesca (Kika Magalhaes), die das Sagen hat. Und auch das Messer, denn von ihrer Mutter hat sie nicht nur die Sehnsucht nach einer intakten Familie geerbt, sondern auch die chirurgischen Fähigkeiten.
Zombies? Vampire? Mutanten? Nein, das fürchterlichste Geschöpf, das da auf Gottes Erden wandelt, ist immer noch der Mensch. Das zumindest ist der Eindruck, den The Eyes of My Mother hinterlässt. Ein nachhaltiger Eindruck. Ein verstörender. Ein brutaler. Warum der 26-jährige Nicolas Pesce ein so negatives Bild seiner Mitbürger pflegt, sei mal außen vor gelassen. Aber es ist schon eine Menge, was einem der Regisseur und Drehbuchautor bei seinem Debüt da zumutet. Soll doch das Hollywood-Horrorkino an Türen rattern und einem mit betäubendem Lärm die Nerven rauben, der New Yorker ist bei der Wahl seiner Mittel sehr viel bescheidener. Ihm reicht ein kleines Landhaus plus die darin lebende Familie, um einem die Lust zu nehmen, noch mal einen Schritt vor die Tür zu setzen. Oder an das Gute im Menschen zu glauben. Denn hier ist jeder kaputt, der eine früher, der andere später – in mehrfacher Hinsicht.
Folter, Amputation, Ketten – The Eyes of My Mother benutzt altbewährte und blutverschmierte Horrorwerkzeuge, um das seelische Gemüt (und die Mägen) des Publikums zu sezieren. Bemerkenswert dabei ist jedoch, dass Pesce so gut wie nichts von dem Grauen zeigt, die einzelnen Zwischenschritte lieber der Fantasie der Zuschauer überlässt. Was Francesca beispielsweise mit dem Messer tun wird, das sie da in der Hand hält, es kann nicht schlimmer sein, als was angedeutet wird. So hofft man zumindest. Mehr noch, der amerikanische Nachwuchsfilmer zaubert in einer besonders fiesen Weise besonders schöne Bilder auf die Leinwand, lässt einen mit seinen hypnotischen und verträumten Schwarz-Weiß-Aufnahmen vergessen, in welcher Welt wir gerade sind.
Dass die Figuren in dem gleichermaßen von Sadismus und Sehnsucht geprägten Horrordrama nicht unbedingt nachvollziehbar agieren, kaum etwas erklärt oder zu Ende erzählt wird, wir innerhalb der nicht mal 80 Minuten auch niemals erfahren, wann und wo die Geschichte stattfindet, stört dann auch nicht weiter. Denn so richtig konkret will das hier alles gar nicht sein. Der Beitrag vom Fantasy Filmfest 2016 ist ein wenig aus der Zeit gefallen. Und aus der Welt. Ein Märchenland, das es sich in unseren Augenwinkeln bequem gemacht hat, ein bisschen abseits, wo man kaum mehr hinschaut. Ein farbloser Alptraum, der gleichzeitig verführt und höllisch weh tut. Dem man vielleicht sogar ganz dankbar ist, dass man ihn nur schwer verorten kann, man nicht einmal genau sagen möchte, ob er tatsächlich real ist. Denn diese Losgelöstheit vom Hier und Jetzt hilft, diesen Ausflug in die Hölle nicht ganz so sehr unter die Haut gehen zu lassen. Zumindest die eigene.
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