Darkside Blues
© 1994 AKITA SHOTEN/TOHO CO., LTD./J.C. STAFF

(„Darkside Blues“ directed by Yoriyasu Kogawa, Yoshimichi Furukawa, 1994)

„Darkside Blues“ ist als Doppelpack mit „Iczer One“ auf DVD erhältlich

Kein Weg führt in Zukunft an der Persona Century Corporation vorbei, fast die gesamte Welt gehört inzwischen dem Unternehmen. Ein kleiner Teil Tokios, ein ehemaliges Vergnügungsviertel, welches nun „Darkside“ genannt wird, ist einer der letzten freien Orte. Und dies soll er auch bleiben, nach Ansicht der Straßengang, die hier das Sagen hat. Immer wieder kommt es deshalb zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den Vertretern von Persona. Mai und die anderen sind aber nicht die einzigen, die den Kampf mit dem Konglomerat wagen: Eine Rebellentruppe hat es sich zum Ziel gesetzt, den Unterdrückungen mit Waffengewalt ein Ende zu setzen. Und dann wäre da noch Darkside, ein mysteriöser Mann in schwarzer Kleidung, der eines Tages auftaucht und über besondere Kräfte verfügt.

In den 80ern und 90ern waren es vor allem die Genres Science Fiction und Horror, welche das westliche Bild des Animes grundlegend ändern. Galt Zeichentrick aus Fernost zuvor bei vielen als reine Kinderunterhaltung, drängten nun düstere, groteske, teils sehr gewalttätige Streifen auf den Markt, die nicht viel mit den zuvor zurechtgelegten Bildern im Kopf zu tun hatten. Gerade Hideyuki Kikuchi hatte hierbei einen größeren Anteil, wenngleich der Autor seinerzeit nur den wenigsten ein Begriff war. Die auf seinen Geschichten basierenden Filme waren dafür sehr verbreitet, allen voran das bizarr-brutale Wicked City und die 80er-Jahre-Vampirjagd Vampire Hunter D. Etwas weniger bekannt ist Darkside Blues, das einige Jahre später entstand und auf einem Manga des Schriftstellers beruht.

Es dürfte aber nicht nur der Fluch der späten Geburt sein, welcher dem Anime den Klassikerstatus verwehrt. Das ist zu einem großen Teil auch hausgemacht. Dass die Geschichten von Kikuchi im Grunde genommen nicht übermäßig interessant waren, vom philosophisch angehauchten The Wind of Amnesia – Wind des Vergessens einmal abgesehen, ist kein wirkliches Geheimnis. Die Adaptionen konnten aber darüber hinwegtäuschen, indem Figuren in Stücke gerissen wurden oder miteinander ins Bett stiegen – manchmal auch beides zusammen. In Darkside Blues fehlt dieser Sex’n’Crime-Bonus. Da wird zwar mal ein bisschen geschmachtet, Waffen hat in der dystopischen Zukunft ohnehin jeder. Aber die werden vergleichsweise selten und zahm angewendet.

Stattdessen setzt der Anime voll und ganz auf seine Atmosphäre. Die ist teilweise auch recht stark: Wenn mit einer gigantischen Standuhr der Horrortrip eingeleitet wird, begleitet von einer unheilvollen Musik, steckt man noch voller Vorfreude auf ein bisschen Gothic-Abgründe. Stattdessen wird aber eine Frau zu Tode gefoltert, indem man sie in Gold verwandelt. Warum? Keine Ahnung. Wohl weil es möglich ist. Oder auch nicht. Immer wieder folgt Darkside Blues im Laufe der gut 80 Minuten einem Plan, der sich einem als Zuschauer kaum erschließt. Bei dem sich irgendwann der Eindruck festigt, dass er eigentlich gar kein Plan ist. Dass mysteriös in dem Fall hier nicht einfach nur unerklärlich bedeutet, sondern gleichzeitig auch willkürlich. Da werden Figuren und Konzepte eingeführt, gleich wieder fallengelassen, kuriose Szenen gezeigt, dazu gibt es eine Menge großer Reden zu „Erneuerung“, ohne dass je verraten würde, was das denn nun sein soll.

Das ist manchmal ein wenig frustrierend, auf Dauer vor allem recht langweilig: Der Zugang zu den Ereignissen und Figuren wird unnötig erschwert, bis man irgendwann einfach das Interesse an beidem verliert. Dafür ist die Atmosphäre doch nicht fesselnd genug. Auch nicht konsequent genug. Immer wieder wird der stimmungsvolle Score durch unerwartete Blues-Lieder unterbrochen, welche zum Titel passen und das vom Animationsstudio J.C. Staff (Cat Soup, 8 Man After) produzierte Darkside Blues durchaus zu etwas Besonderem machen. Ein apokalyptischer Zukunftswestern. Aber wie so vieles hier sind diese Nummern einfach da, ohne dass sich einem der Grund erschließen würde, ohne dass da je etwas zu einem in sich geschlossenen Werk zusammenfindet. Wenn wenigstens diese Willkürlichkeit zu einem Konzept ausgearbeitet worden wäre, wir à la FLCL durch das Unerwartete an den Fernseher gefesselt würden. Aber ganz so weit wollte man dann doch nicht gehen, der optisch meist unauffällige Horror-Kollege bleibt reines Stückwerk, das man selbst als Genrefan nicht gesehen haben muss.



(Anzeige)

Einzelideen hat „Darkside Blues“ genug, von dystopischen Zukunftsvisionen über seltsame Blues-Nummern bis zu goldigen Foltermethoden. Aber keine Idee, wie man aus den Einzelbestandteilen wirklich einen Film macht. Streckenweise kann die Atmosphäre das ausgleichen, auf Dauer ist die Manga-Adaption dann aber doch recht langweilig.
4
von 10