(„Beauty And The Beast“ directed by Bill Condon, 2017)
Es ist ein nettes Leben, das Belle (Emma Watson) da führt, in einem netten kleinen französischen Dorf namens Villeneuve. Und ein sehr langweiliges Leben. Die wenigen Bücher, die es dort gibt, hat die wissbegierige junge Frau bereits alle gelesen, muss sich zudem für ihre Bücherliebe verspotten lassen. Gaston (Luke Evans) stört das nicht, er macht ihr unentwegt Avancen, möchte sie zu seinem Heimchen am Herd machen. Worauf die aber nur wenig Lust hat. Einzig ihr Vater, der etwas verschrobene Erfinder Maurice (Kevin Kline), hält sie in der adretten Einöde. Als der eines Tages spurlos verschwindet, macht sie sich auf die Suche und stößt dabei auf ein verwunschenes Schloss, das von einem schrecklichen Biest (Dan Stevens) und dessen magischen Haushaltsgegenständen bewohnt wird.
Am Anfang war die Skepsis. Disney verfilmt seine Zeichentrickfilme neu, diesmal als Realvariante. Ganz abgesehen davon, dass dies nicht unbedingt der Gipfel der Kreativität ist, konnte einem die Vorstellung, beliebte Klassiker aufzuwärmen, unsterbliche Figuren mit dem Computer wiederzubeleben, einem nicht ganz geheuer sein. Zumindest finanziell hat sich das Wagnis aber mehr als bezahlt gemacht. Auch wenn die Kritiken teils sehr gemischt waren, die Kasse stimmte: Cinderella spielte 500 Millionen Dollar ein, Maleficent – Die dunkle Fee 750, Alice im Wunderland und The Jungle Book sogar eine Milliarde. Dass die fünfte Realadaption – den Sonderfall Elliot, der Drache nicht mitgezählt – mindestens gleichziehen wird, steht außer Frage, nicht wenige erwarten sogar, dass Die Schöne und das Biest die vorherigen Ergebnisse noch einmal übertreffen wird. Und das aus gutem Grund: Der Animationsfilm aus dem Jahr 1991 ist als Teil der Disney Renaissance nicht nur eine der heiligsten Kühe im Mäusestall, sondern auch eine der fettesten.
Und doch auch hier Skepsis. Ebenfalls aus gutem Grund: Mit den billigen Direct-to-Videoproduktionen Belles zauberhafte Welt und Weihnachtszauber hatte man schon einmal versucht, aus der Popularität Profit zu schlagen – mit enttäuschendem Ergebnis. Besser lief es mit der Musical-Variante, die von 1994 bis 2007 am Broadway aufgeführt wurde und damit eine der zehn längsten der berühmten New Yorker Theatermeile wurde. Mit einer Live-Version hatte Disney also schon Erfahrungen gesammelt. Etwas, das der Neuverfilmung sicher zugutekam. Die ganz großen Experimente wagte man hier dann auch nicht, hielt sich lieber an das Altbewährte. Anders als Maleficent, das Dornröschen etwas auf den Kopf stellte, anders als The Jungle Book, das dem Dschungelbuch neue Seiten abgewann, ist Die Schöne und das Biest teils eine fast sklavisch originalgetreue Neuauflage. Einige neue Lieder wurden eingebaut, die Hintergrundgeschichten etwas vertieft. Das macht die Fantasy-Romanze aber nicht wirklich besser, anders schon gar nicht. Es macht sie nur länger: Mit einer Dauer von über zwei Stunden übte man sich hier nicht gerade in Zurückhaltung, fordert zwischendrin auch etwas mehr Geduld ein, als es der Geschichte eigentlich zusteht.
Interessanter sind dann schon die beiden Punkte, welche die Zeichentrickvariante und den Nachkommen tatsächlich voneinander unterscheiden: die Computertechnik und die realen Schauspieler. Und auch hier gilt, dass vieles ähnlich ist, manches 2017 sogar besser, anders dafür schlechter. 160 Millionen Dollar hat die Adaption des bekannten französischen Märchens gekostet. Und das sieht man, an jeder Ecke, an jeder Einstellung. Hier wurde so viel in die Optik investiert, dass Die Schöne und das Biest überquillt vor Details, die es anno 1991 noch nicht gab. Real wirkt eigentlich fast nichts an dem Film, von dem ersten Moment an, wenn wir die eindeutige Studiokulisse des Dorfes sehen, ist dieser von einem sehr künstlichen Look begleitet. Das ist erst einmal nicht allzu störend, angesichts einer Märchenvorlage braucht es nicht viel Realismus. Und vor allem bei dem Schloss durften sich die Disney-Zauberer so richtig austoben, hier kommt ihnen – und dem Zuschauer – das Potenzial von CGI doch sehr entgegen. Schwierig wird es jedoch in dem Moment, in dem sie doch aufeinandertreffen: die reale Welt und die aus dem Computer. Wo bei der Zeichentrickvariante alles noch aus einem Guss war, Menschen, Schloss und dessen Bewohner untrennbar miteinander verbunden, bleiben sie hier doch immer Fremde. Vor allem beim Biest selbst wird es problematisch, der nur in den seltensten Momenten eine wirklich physische Erscheinung hat. Das schadet dem Film zum einen während der Interaktionen mit Belle. Und wenn das massive Wesen gegen Ende hin wie ein Gummiball durch die Luft springt, geht auch die letzte Illusion verloren, dass wir Teil einer sich tatsächlich abspielenden Geschichte sind.
Auch bei der Besetzung trifft Licht auf Schatten. In den meisten Fällen zeigte Disney wie auch schon bei den vorangegangenen Realadaptionen ein glückliches Händchen. Oder auch ein Öhrchen. Sofern man sich damit abfinden kann, dass in der französischen Provinz plötzlich zum Großteil Briten herumlaufen, erwartet einen in der englischen Originalversion allerhand Schauspielprominenz. Das betrifft zum einen das verzauberte Hauspersonal, welches unter anderem von Ewan McGregor, Ian McKellen und Emma Thompson gesprochen wird. Letztere hat auch die (un-)dankbare Aufgabe, mit dem Titellied eines der berühmtesten Disney-Stücke aller Zeiten interpretieren zu dürfen. Dabei schlägt sie sich achtbar, wenngleich ihrer Version die knorrige Wärme einer Angela Lansbury fehlt. Josh Gad, der mit LeFou die medienwirksam ausgeschlachtete erste homosexuelle Figur im Mäusemärchenreich verkörpert, ist eine zumindest witzige Nebenfigur. Ein Comic Relief inmitten der Tragik und Romantik. Noch unterhaltsamer ist nur noch Luke Evans, der sonst meist im Genrekino auftritt (zuletzt in Girl on the Train und High-Rise), hier aber als eitler Gaston vielleicht die Rolle seines Lebens spielt und seine lange Bühnenerfahrung sowie das beachtliche Sangestalent an den Mann bringt. Vor allem aber an die Frau.
Ausgerechnet bei den beiden Hauptfiguren hapert es jedoch. Dan Stevens, auch er ein versierter Theaterschauspieler, hat in seinem CGI-Kostüm nicht die Möglichkeit, sich wirklich freizuspielen. Zumal ihm auch die Rolle Fesseln anlegt: Über längere Strecken darf er nicht mehr als ein grummelndes Tier sein. Erst später, wenn sich das Biest Belle langsam öffnet, schimmert hinter dem Grunzen auch ein Mensch durch, ein überraschend gebildeter und witziger Mensch. Bei Belle gibt es eine solche Entwicklung nicht. Gerade an ihr scheiden sich auch die Geister, nicht zuletzt aufgrund der strittigen Besetzung durch Emma Watson. Die ist mit ihrem nettes-Mädchen-von-nebenan-Image prinzipiell optisch gut platziert, gegen die pure Präsenz ihres Umfelds kann sie aber kaum bestehen. Ist einfach nur irgendwie da, auch wenn sie singt. Vor allem wenn sie singt und sie dabei kräftige Unterstützung vom Computer erhält. Dem Zielpublikum dürfte das aber egal sein, das ist von der Menge an Effekten, großen Sangeseinlagen und dem unbeirrten Bekenntnis zum Kitsch zu überwältigt, um diese vielen Schönheitsflecken als solche wahrzunehmen.
Dabei sind es nicht die Momente, in denen die Realvariante die Opulenz des Zeichentrickfilms noch einmal verstärkt, die wirklich zu Herzen gehen. Es sind die kleinen, gerade wenn die vielen Nebenfiguren auch Charakter entwickeln. Zum Ende hin, wenn es nicht nur um die unsterbliche Liebe zwischen der Schönen und dem Biest geht, sondern auch das Schicksal der anderen beleuchtet wird. Zu mögen gibt es also einiges an Die Schöne und das Biest. Ein Film, den es vielleicht nicht unbedingt gebraucht hätte, der insgesamt auch weniger stimmig ist als das Vorbild. Aber doch einer, der gut unterhält mit seiner Mischung aus Märchen, Liebesgeschichte und Humor, begleitet von Ohrwürmern, wie sie auch Disney nur selten vorweisen konnte. Und ein Film, der in zwischenmenschlich oft finsteren Zeiten wie diesen daran erinnert, worauf es beim Menschen wirklich ankommt. Ankommen sollte. Ein bisschen naiv mag dieses mal stärker, mal schwächer ausgeprägte Bekenntnis zu innerer Schönheit und Diversität sein. Willkommen ist es trotzdem.
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