(„I Am Not Your Negro“ directed by Raoul Peck, 2016)
Als wäre es nicht genug, dass die täglich aus den USA herüberschwappenden Nachrichten einen regelmäßig am Verstand der Menschen dort zweifeln lässt, kommen nun auch verstärkt Dokumentarfilme hierher, die einem den Rest geben. Etwas mehr als einen Monat ist es her, dass die bizarre Militarisierung der Polizei in Do Not Resist – Police 3.0 aufgezeigt wurde. Nun folgt mit I Am Not Your Negro ein Werk, das nicht minder schockierend ist. Dieses ist zwar sehr viel stärker mit der Vergangenheit beschäftigt als die düsteren Zukunftsaussichten bei den Kollegen. Beide eint aber ein Punkt: Die USA sind eine Gesellschaft, die von Paranoia geleitet wird. Ein Teil zumindest, der weiße. Dessen Gewalt speist sich aus Angst, die der Schwarzen aus Wut – das ist eine der vielen Aussagen, die hier getroffen werden.
Am Anfang war der Tod. Und das Wort
Um die Beziehung der beiden Ethnien geht es dann auch in dem Film. Über die Nicht-Beziehung. Und über vier tote Männer. Drei davon sind in den 60ern gestorben: Medgar Evers, Malcolm X und Martin Luther King Jr. Drei Bürgerrechtler. Drei Schwarze. Drei Mordopfer. Der Vierte im Bunde ist James Baldwin. Der starb zwar anno 1987 mehr oder weniger friedlich an Magenkrebs, war aber auf seine Weise ein ebenso bedeutender Kämpfer für die Gleichberechtigung von Schwarzen. Nur dass sein Kampf nicht über Demonstrationen und Kundgebungen verlief, sondern über das geschriebene Wort. Romane, in denen er Rassismus und Sexualität thematisierte. Baldwin kannte die drei Männer persönlich, schätzte sie für ihren Einsatz, auch wenn er nicht immer ihrer Meinung war. Und er wollte an sie erinnern, in einem Werk mit dem Arbeitstitel „Remember This House“. Es blieb zu seinem Tod unvollendet.
Dafür sprang nun Regisseur Raoul Peck ein. Der nahm hier die bereits geschriebenen Seiten, verband sie mit historischen Aufnahmen über die vier Männer, schlug darüber hinaus aber auch den Bogen zur Gegenwart. Unruhen in Ferguson anno 2014 und Fernsehdebatten in den 60ern, in I Am Not Your Negro steht alles gleichberechtig nebeneinander. Und das aus gutem Grund: Die vielen Probleme, welche die USA heute plagen, ein Rassismus, der selbst vor höchsten Ämtern nicht Halt macht, sie haben Tradition. Sie haben Geschichte.
„The story of the Negro in America is the story of America. And it is not a pretty story.“
Nein, schön ist es tatsächlich nicht, was der für einen Oscar nominierte Dokumentarfilm zu sagen und zu zeigen hat. Manches ist so absurd, geradezu surreal, dass man lachen möchte. Wäre es gleichzeitig nicht so bitter. Ob groteske Darstellungen in Film und Fernsehen oder erschütternde Hass-Demos, die einem viel älter erscheinen wollen, als sie es wirklich sind, es ist harter Stoff, der einem hier zugemutet wird. Dabei ist I Am Not Your Negro ein erstaunlich ruhiger Film, teilweise vorgetragen in der sonor-monotonen Stimme von Samuel L. Jackson, der die Texte von Baldwin vorliest. So ruhig wie sich Baldwin in den Interviews und Debatten als artikulierter und besonnener Vermittler zeigt, mit nüchternen Worten statt mit flammender Gewalt um Rechte ringt.
Das haben andere Vorkämpfer natürlich anders gehandhabt. I Am Not Your Negro ist nicht einfach nur die Anprangerung von Rassismus, sondern gleichzeitig ein Porträt der Bürgerrechtebewegung. Und innerhalb derer gab es Strömungen, die so vielfältig sind, wie eine Gesellschaft nur sein kann. So mancher Hang zum Pathos gehört da mit dazu, ebenso die eine oder andere fragwürdige Aussage, die letzten Endes ebenso diskriminierend ist wie die der bekämpften Gegenseite. Gerade deshalb ist der Dokumentarfilm auch so packend: Er gibt nicht die eine Antwort, sondern viele. Antworten, die sich ergänzen, sich widersprechen am Ende aber alle zusammengehören. Die Geschichte, das ist eine der vielen Antworten, das ist nicht die Vergangenheit. Sie ist die Gegenwart. Sie ist unsere Gegenwart. Sie ist wir.
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