(„Miyori no Mori“ directed by Nizo Yamamoto, 2007)
Man kann nicht unbedingt behaupten, dass es ein Wiedersehen mit Freude war. Schon einmal war Miyori bei ihren Großeltern gewesen, die auf dem Land nahe eines Waldes leben. Als kleines Kind. Doch damals war das im Rahmen eines Familienausfluges gewesen. Von Familie kann heute aber keine Rede mehr sein: Ihre Eltern haben sich scheiden lassen. Und da keiner von den beiden wirklich die Zeit hat, sich um die 11-Jährige zu kümmern, sollen das nun eben die Großeltern übernehmen. Wie wenig sie darauf Lust hat, das lässt Miyori jeden spüren. Ebenso dass sie so gar nichts von dem Landleben hält. Erst als ihr einige seltsame Wesen erscheinen, die nur sie sehen kann und die ihre Hilfe bei der Rettung des Waldes brauchen, beginnt sie, die Schönheit der Natur und die dortigen Menschen zu schätzen.
Moment, ist das ein neuer Film von Studio Ghibli? Angesichts des Ausnahmestatus, den das japanische Animationsstudio genießt, ist es kein Wunder, dass sich immer wieder Künstler von deren Werken inspirieren lassen. Children Who Chase Lost Voices war so ein Fall, wo allein die geringere Qualität darauf schließen lässt, dass hier trotz vieler Ähnlichkeiten nicht die Edelschmiede an der Arbeit war. Uns auch bei Miyori no Mori wird man das eine oder andere Déjà-vu-Erlebnis haben. In dem Fall ist das jedoch stärker entschuldbar. Regisseur des TV-Specials war Nizo Yamamoto. Der hatte schon zu prä-Ghibli-Zeiten mit Isao Takahata und Hayao Miyazaki zusammengearbeitet, beispielsweise an Anne mit den roten Haaren und Das Schloss im Himmel. Und diese Zusammenarbeit setzte sich fort: Bei vielen der wichtigsten Filme aus dem Vermächtnis der Zeichentricklegenden war er als Art Director tätig.
Große Einflüsse, großes Ergebnis?
Und tatsächlich erinnert hier vieles frappierend an das Vorbild. Die ökologische Nachricht von Prinzessin Mononoke und Pom Poko, wo sich ebenfalls Fabelwesen gegen eine alles verschlingende Menschengesellschaft zur Wehr setzen. Das Motiv des kleinen Mädchens, das in eine Zauberwelt stolpert, das kennen wir aus Chihiros Reise ins Zauberland oder Mein Nachbar Totoro. Und zu guter Letzt kommt auch der Stadt-Land-Konflikt ins Spiel, so wie es einst Flüstern des Meeres – Ocean Waves schon vorgeführt hat. Man könnte Miyori no Mori – zu Deutsch Miyoris Wald – also als eine Art Best of Ghibli bezeichnen. Nur dass der Anime es in mehrfacher Hinsicht nicht mit den obigen Klassikern aufnehmen kann.
Da wäre zum einen der Inhalt. Hideji Oda, der dem zugrundeliegenden Manga schrieb, mochte es offensichtlich ein bisschen einfacher. Wo sich Ghibli beispielsweise in moralischen Fragen noch an Schattierungen und Grautönen versuchte, ist hier die Einteilung in Schwarz und Weiß recht definitiv. Und auch bei der Gegenüberstellung von Natur und Tradition auf der einen Seite, Großstadtleben und moderner Gesellschaft auf der anderen gibt es einen eindeutigen Sieger. Um Kompromisse ist niemand bemüht, allein Miyori darf eine Entwicklung durchmachen. Dinge hinterfragen. Das Ergebnis ist jedoch ziemlich überhastet, nicht ganz schlüssig erzählt und zudem wenig originell. Eigentlich passiert in Miyori no Mori so gut wie nichts, was einen überraschen sollte, wer vergleichbare japanische Ökofabeln gesehen hat.
Hübsch, nett, unspektakulär
Immerhin ist der Anime dabei zeitweise recht hübsch anzusehen. Das ehrwürdige Studio Nippon Animation, welches vor allem für Klassiker wie Sindbad oder Alice im Wunderland bekannt ist, hat eine sehenswerte Version des ländlichen Japans auf den Bildschirm gezaubert – inklusive kleiner Licht-/Schattenspielereien und kurioser Fabelwesen. Den ganz großen optischen Genuss sollte man dennoch nicht erwarten. Wie bei dem Fernsehfilm zu erwarten war das Budget offensichtlich nicht ganz so hoch, was sich vor allem bei den spärlichen Animationen schmerzlich bemerkbar macht. Von kleineren Elementen und liebevollen Details, mit denen Ghibli-Werke vollgestopft sind, ganz zu schweigen. Denn die gibt es hier nicht. Dennoch ist die Mangaadaption recht nett, gerade auch für ein etwas jüngeres Publikum, das hier noch etwas träumen darf. Etwas lachen. Etas mitfiebern. Allerdings sollte es dafür Fremdsprachenkenntnisse mit sich bringen, da bis heute keine deutsche Version erschienen ist. Genauer stammt die einzige reale Version aus Frankreich, wo der Film unter dem Titel La forêt de Miyori erhältlich ist.
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