(„Moonlight“ directed by Barry Jenkins, 2016)
Es ist eine alles andere als schöne Kindheit, die Chiron (Alex R. Hibbert) da hat. Ohne Vater wächst er auf, seine drogenabhängige und unberechenbare Mutter Paula (Naomie Harris) ist auch nicht unbedingt dazu geeignet, dem 9-Jährigen Halt zu geben. Den findet er dafür bei dem Drogenhändler Juan (Mahershala Ali) und dessen Freundin Teresa (Janelle Monáe), die sich fürsorglich um ihn kümmern. Auch als Teenager (Ashton Sanders) muss sich Chiron eine Menge gefallen lassen, wird von anderen unterdrückt. Besonders schwierig wird es, als er seinem Mitschüler Kevin (Jharrel Jerome) näherkommt. Jahre später hat Chiron (Trevante Rhodes) die Demütigungen hinter sich, ist nun selbst ein starker Mann, der sein Geld mit Drogengeschäften verdient. Da bringt ihn ein unerwarteter Anruf von Kevin (André Holland) aus dem neu gefundenen Lebenskonzept …
Ist es nun der Film selbst oder die Umstände, die Moonlight zu einem Filmpreis-Phänomen gemacht haben? Die am Ende dazu führten, dass die unscheinbare Indie-Produktion bei der Oscar-Verleihung 2017 dem zuvor scheinbar sicheren Überflieger La La Land den Award für den besten Film des Jahres auf den letzten Metern noch stibitzte? Ein Jahr nach dem OscarsSoWhite-Skandal, ein Jahr, in dem Rassismus und Unterdrückung von Minderheiten sogar präsidentschaftsfähig geworden sind. Ausgerechnet jetzt einem Drama die höchste Ehre zu erweisen, in denen es um Farbige geht, um Schwule, um Drogenhändler, um Außenseiter – sprich alles, was man bestimmten Leuten zufolge nicht sein darf –, das ist dann doch mal ein richtig fettes Statement. Vielleicht sogar eine Provokation.
Dabei geht es Barry Jenkins, der hier Regie führte und gemeinsam mit Tarell Alvin McCraney dessen unveröffentlichtes Theaterstück „In Moonlight Black Boys Look Blue“ für die große Leinwand umschrieb, gar nicht um Provokation. Oder um große Gesten. Vielmehr erzählen die beiden hier Geschichten, wie sie vermutlich tagtäglich das Leben schreibt, die aber bislang ignoriert wurden. Der erste der drei Abschnitte, die uns Chiron vom Kindes- bis ins Erwachsenenalter näherbringen, wirkt dabei noch recht vertraut. Es geht um Armut. Um Vernachlässigung in der Familie. Um Drogen. Ein typisches Drama über einen sozialen Brennpunkt, in dem Gewalt und Verbrechen die einzige Perspektive bilden. Dass ausgerechnet ein Drogenhändler hier nun die Rolle des Ersatzvaters übernimmt, dem einsamen Jungen in einer der rührendsten Szenen das Schwimmen beibringt, das will dann gar nicht so recht ins Bild passen. Ist eigentlich zu schön, um wahr zu sein. Der Hoffnungsschimmer in einer hoffnungslosen Umgebung.
Beides wird sich dann auch den Rest des Films fortsetzen: Der traurige, schäbige Alltag, in dem nur die Härtesten weiterkommen. Das Märchenhafte, der naiv-sehnsuchtsvolle Blick in eine andere Welt, unterstützt auch von einer sehr kunstvollen und sinnlichen Inszenierung. Ansonsten gibt es zunächst einmal keinen wirklichen roten Faden. Die drei Geschichten haben zwar denselben Protagonisten, der aber – aufgrund der drei Darsteller, aufgrund aber auch der Umstände – nicht wiederzuerkennen ist. Das aber ist genau der Punkt: Moonlight zeigt einen jungen Menschen auf der Sinnsuche. Einer, der nicht so recht weiß, wer er ist, weil vieles um ihn herum so widersprüchlich ist. Auf den viel Druck ausgeübt wird, um hineinzupassen. Auch wenn er es nicht tut.
Das zahlt sich vor allem im letzten Drittel aus. Aus dem schüchternen Jungen, der sich nie wehren konnte, ist ein Schrank von einem Mann geworden. Ein fettes Auto darf nicht fehlen, goldene Zahnüberzüge. Von Drogen bezahlt, natürlich. Chiron ist das geworden, was er kennt, was ihm vorgelebt wurde. Eine Mischung aus Juan und der Straßengewalt. Eine logische Konsequenz gewissermaßen. Aber wie viel davon ist Chiron? Wie viel bloß Imitation? Wenn er seinem Jugendfreund wiederbegegnet, im Gespräch mit Kevin an früher denkt, an ihn, an die gemeinsame Zeit, dann blättert der Goldlack immer mehr ab. Und es kommt wieder der Junge zum Vorschein, der sich nie getraut hat. Der bis heute mit seiner Homosexualität hadert. Wie die beiden umeinander herumscharwenzeln, keiner die gemeinsamen sexuellen Erfahrungen anspricht, sie aber doch mitten im Raum sind, immer präsent, ist eine der schönsten Erfahrungen, die wir dieses Jahr wohl im Kino machen werden. Eben auch weil sie so alltäglich ist, sich nicht auf das Leben von Farbigen beschränkt. Oder das von Homosexuellen. Drogenhändlern. Dass Moonlight all das zusammenführt, das zumindest nach außen hin so ungewohnte Szenario so universell werden lässt, macht den Film tatsächlich zu einem der besten der letzten Zeit. Einer, der all seine Preise auch verdient hat. Denn er erinnert einen daran, auch dank der mitreißenden Darstellungen des Ensembles, was es heißt Mensch zu sein.
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