Nebel im August Frontpage
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(„Nebel im August“ directed by Kai Wessel, 2016)

„Nebel im August“ ist seit 9. März 2017 auf DVD und Blu-ray erhältlich

Wild ist er, rebellisch, aufmüpfig. Unerziehbar sogar. So zumindest lautet das Urteil der Verantwortlichen, als sie den 13 Jahre alten Ernst Lossa (Ivo Pietzcker) in die von Dr. Walter Veithausen (Sebastian Koch) geleitete Nervenheilanstalt stecken. Das wahre Grauen wartet jedoch da draußen: Immer wieder werden unerwünschte Kinder, kranke Kinder, geistig behinderte, mit Bussen davongekarrt und im Rahmen des Euthanasie-Programms getötet. Doch jetzt soll alles anders werden: Die Heime selbst sollen sich um die Liquidierung der Kinder kümmern. Während Veithausen sich den neuen Anweisungen schnell fügt, versucht Schwester Sophia (Fritzi Haberlandt) ihre Schutzbefohlenen zu schützen. Und auch Ernst ist nicht gewillt, die heimlichen Morde hinzunehmen – vor allem nicht, als auch seine Mitpatientin Nandl (Jule Hermann) in Gefahr gerät.

Filme über das Dritte Reich sind quasi von Natur aus mindestens unangenehm, wenn nicht gar schmerzhaft. Sie sollen schockieren, wachrütteln, mindestens aber daran erinnern, welche unvorstellbaren Gräueltaten vor etwas mehr als 70 Jahren hier üblich waren. Gräueltaten wie die Euthanasie: Nach außen hin wurden so getan, als würden leidenden Menschen geholfen. In Wahrheit wurden aber einfach Subjekte beiseitegeschafft, die nicht ins Bild passten. Die keinen wirklichen Beitrag für die Gesellschaft leisteten und diese nur Geld kosten, wie es in Nebel im August an einer Stelle heißt. Über 200.000 Insassen deutscher Heil- und Pflegeanstalten wurden unter diesem Deckmantel der Nächstenliebe kaltblütig hingerichtet, mit den verschiedensten Methoden.

Ernst Lossa, auf dessen wahrer Geschichte der Film basiert, war einer dieser 200.000 Menschen, die das Pech hatten, nicht in das Raster des Nationalsozialismus zu passen und deshalb weg mussten. Ein bisschen schwierig mag er sein, zumindest wird das am Anfang behauptet. Ansonsten wird Ernst aber als völlig normaler Junge dargestellt, an der Schwelle zur Pubertät. Nebel im August zeichnet sich dann auch dadurch aus, dass hier das Menschliche im Vordergrund steht, umgeben nur von einem unmenschlichen Umfeld.

Allgemein arbeitet der Film sehr stark mit Kontrasten. Der Kontrast zwischen dem, was die Heimleitung offiziell tut und dem, was wirklich hinter den Mauern vor sich geht. Zwischen dem so väterlich wirkenden Veithausen und seinen barbarischen Methoden, auf die er später ziemlich stolz sein wird. Koch gelingt dieser Spagat auch famos zwischen fürsorglichem Betreuer und kaltherzigem Monster, so wie das Drama allgemein sehr von den starken Schauspielern lebt. Ivo Pietzcker war für seine Rolle als über sich hinauswachsender Junge in Jack schon positiv aufgefallen, in Nebel im August setzt er ein weiteres, unübersehbares Ausrufezeichen.

Die ganz großen Überraschungen hält der Film natürlich nicht bereit, zumindest nicht für die, die das Schicksal von Lossa schon kannten. Und doch ist es spannend dabei zu sein, wie eine Heilanstalt nach und nach ihren ursprünglichen Auftrag abgibt. Wie Menschen das Menschsein verlernen. Aber eben auch, wie sich manche in einen Kampf wagen, der von vornherein so aussichtslos erscheint. Hilflos sitzt man als Zuschauer davor, muss mitansehen, wie ein Kind nach dem anderen getötet wird, für jede List des Widerstandes eine neue Methode ersonnen wird. Geschlagen würde in dieser Anstalt nicht, betont Veithausen zu Beginn. Und doch fühlt man sich so, weit entfernt durch Zeit und Raum auf dem heimischen Sofa. Ist erschüttert von dem, was gezeigt wird, und an mehr als einer Stelle auch versucht, vorzeitig den Film wieder zu beenden.



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„Nebel im August“ führt uns das unmenschliche Thema der Euthanasie auf eine sehr menschliche Weise vor Augen. Das ist aufgrund der starken Darsteller und des grotesken Kontrasts zwischen Heilungsanspruch und mörderischer Perfidie sehenswert, wenn auch manchmal nur schwer zu ertragen.
8
von 10