(„Short Peace“ directed by Shuhei Morita, Katsuhiro Ôtomo, Hiroaki Ando, Hajime Katoki and Koji Morimoto, 2013)
Wer schon in den 80ern und 90ern Animes geschaut hat, der wird früher oder später über sie gestolpert sein: Anthologien. Die waren seinerzeit recht populär, erlaubten bekannten wie auch neuen Regisseuren, sich einmal ein wenig auszuprobieren. Fernab vom üblichen kommerziellen Zwang. Es war dann auch der Abwechslungsreichtum, inhaltlich wie optisch, welcher diese Geschichten auszeichnete, die oft nur notdürftig durch einen äußeren Rahmen zusammengehalten wurden. Dass sie so bekannt waren, lag aber vor allem an ihm: Katsuhiro Ôtomo. Der war wegen seines Science-Fiction-Meilenstein Akira zu einem Aushängeschild der japanischen Zeichentrickkunst geworden. Da lag es auf der Hand, seine Rolle bei den Kurzfilmsammlungen Robot Carnival, Manie Manie – Labyrinth-Geschichten und Memories besonders zu betonen. Und natürlich auch bei Short Peace, einer 2013 nachgefolgten Anthologie, die gleichzeitig ein direkter Erbe der Klassiker ist. Und doch ganz anders. Die von den einen begeistert aufgenommen wurde, andere jedoch ziemlich kalt ließ – je nachdem, worauf man seinen Fokus legte.
Eingeleitet wird das Projekt, welches neben den Kurzfilmen auch ein Videospiel beinhaltet, durch eine recht kurze Sequenz von Koji Morimoto, einem anderen Urgestein der Animeanthologien. Darin erzählt der Altmeister die Geschichte eines kleinen Mädchens, welches einem weißen Kaninchen in eine fremde Welt lockt. Das ist natürlich „Alice im Wunderland“ entnommen, statt einem Fantasiereich wartet auf die Protagonistin aber eine sehr technologische, virtuelle Welt. Viel Gehalt hat das nicht, bereitet aber doch bestens auf die folgenden vier etwas längeren Abschnitte vor. Denn die sind inhaltlich ebenfalls recht dünn, verwenden vor allem aber CGI-Grafiken. Wenn auch anders, als man es erwarten könnte.
Der bekannteste Beitrag ist sicher das oscarnominierte Possessions und stammt von Shuhei Morita, der den meisten heute vor allem als Regisseur von Tokyo Ghoul ein Begriff sein dürfte. Dabei liegt der Vergleich zu dessen früheren Werk Kakurenbo – Hide and Seek deutlich näher. Nicht nur, weil auch das ein Kurzfilm war, sondern weil er damals schon, lange vor den meisten anderen Animekünstlern, Computer benutzte, um ein traditionelles Japan darzustellen. Ein Widerspruch? Vielleicht. Gewöhnungsbedürftig auf jeden Fall. Aber doch auch recht gelungen. Hier bringt er uns einen umherwandernden Reisenden näher, der vor einem Unwetter Schutz sucht und in einem Tempel auf von Geistern besessene Alltagsgegenstände trifft. Visuell beeindruckend, ein bisschen an Mononoke erinnernd, mit etwas Humor angereichert, macht der Spuk dank seiner hypnotisch herumwirbelnden Bilder und der leicht ökologisch angehauchten Story durchaus Lust auf mehr.
Combustible, von Ôtomo selbst inszeniert, schließt nahtlos daran an, auch wenn der Stil ein ganz anderer ist. Die Geschichte um eine junge Frau, die gegen ihren Willen verheiratet werden soll, ähnelt mit der isometrischen Perspektive einer alten Schriftrolle. Auch das sieht wahnsinnig gut aus, das Animationsstudio Sunrise (Steamboy, Cowboy Bebop) zeigt, dass Computergrafiken auch ganz anders aussehen können. Richtig interessant ist es aber nicht, was der Altmeister in seine Geschichte packt. Tragisch soll die natürlich sein, einen echten emotionalen Zugang zu der Maid, die recht rücksichtslos und unorthodox ihre alte Jugendliebe zu sehen versucht, den dürften aber nur die wenigsten finden.
Und dieses Problem setzt sich auch in den verbleibenden zwei Kurzfilmen fort. Gambo von Hiroaki Ando (Ajin) interessiert sich nicht wirklich für das kleine Dorf oder die junge Frau, die von einem roten Teufel geschwängert wird. Stattdessen ist es der Kampf zwischen jenem Unhold und einem weißen Bären, um den sich alles dreht. Das ist optisch beeindruckend, der Japaner verwendet hier sehr körnige Bilder. Und sehr brutale. A Farewell to Weapons von Hajime Katoki, welches auf einem alten Manga von Ôtomo basiert, lässt auch kräftig kämpfen. Aber auch der Humor kommt nicht zu kurz, der Kurzfilm erinnert an das letzte Segment von Manie Manie seinerzeit, ohne aber an dessen Geschichte heranzukommen. Vor allem weil man hier nichts erfährt. Wer sollen die Leute sein? Wo sind sie unterwegs? Was sind das für Menschen, mit denen sie sich anlegen? Immerhin versöhnt einen der Abschluss mit einer Optik, die sich stärker als alle anderen an klassischen Animes orientiert. Diese Kombination der unterschiedlichsten Stile macht Short Peace dann auch wirklich zu etwas Besonderem, gerade auch weil das hier so eindrucksvoll demonstriert, dass in Computern mehr steckt als die 08/15-Designs, die wir tagtäglich zu sehen bekommen.
Aber so aufregend das Ganze als Demonstration der Möglichkeiten ist, so langweilig sind die damit verbundenen Geschichten. Natürlich sollte niemand von Kurzfilmen zu viel Tiefgang erwarten oder bis ins Detail ausgearbeitete Charaktere. Hier drängt sich jedoch der Eindruck auf, dass die Filmemacher so sehr mit der Technik beschäftigt waren, dass der Rest keine echte Rolle mehr spielt. Style over substance, der eine mehr, der andere weniger. Und in der Hinsicht hatten die frühen Ahnen doch einiges mehr zu bieten, waren trotz der einfacheren Bilder spannender und nachhaltiger. Die Experimente hier sind hingegen nach dem anfänglichen Wow-Faktor doch eher schnell wieder vergessen.
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