Als Köhler hat Peter Munk (Frederick Lau) nur wenig zu lachen und noch weniger Perspektive. Ganz unten steht er in der gesellschaftlichen Hierarchie. Ein gemeinsames Leben mit der schönen Lisbeth (Henriette Confurius)? Undenkbar! Dafür mangelt es ihm zu sehr an Ansehen, an Charme. Und an Geld. Um seinem Traum doch noch näher zu kommen, beschließt er deshalb, draußen im Wald Hilfe zu suchen. Beim Glasmännchen (Milan Peschel), das Menschen Wünsche erfüllen kann. Und beim Holländer-Michel (Moritz Bleibtreu), der anderen die Herzen herausschneidet und ihnen so hilft, sich besser durchs Leben zu kämpfen.
Es war einmal eine Zeit, als Märchen noch düster sein durften. Ohne witzig-tierische Sidekicks auskamen. Nicht dazu da waren, Merchandising und Direct-to-Video-Fortsetzungen zu verkaufen. Wo jeder Fehltritt das Leben der Protagonisten kosten konnte. An diese Zeit erinnert Das kalte Herz, das auf Wilhelm Hauffs gleichnamigen Märchen aus dem Jahr 1827 basiert. Nicht nur des Inhalts wegen, der mit vergessenen Berufen wie Köhlern und Glasmachern so manches Fragezeichen auf die Stirn heutiger Zuschauer zaubern wird. Sondern auch dem Drumherum.
Zurück zur Natur
Düstere Märchen gibt es im Filmgeschäft natürlich auch heute noch dann und wann. So lieferte uns Hollywood mit Snow White & The Huntsman und Hänsel und Gretel: Hexenjäger zwei Adaptionen, die so gar nicht für Kinderzimmer gedacht waren. Dort geschah das jedoch durch viel Action, viel Bombast, viel Computerhexerei. Von all dem ist hier nichts zu spüren. Schicke Hochglanzeffekte sind in dieser archaischen Welt nicht vorgesehen. Das kalte Herz verlässt sich lieber auf die natürlich finstere Anmutung dunkler Wälder und traditionell angefertigte Kostüme zwischen Fetzen und Schmutz. Und auf die Geschichte um den sehnsüchtig-ambitionierten Kohlemann, in der es nur wenig Raum für Freude gibt. Oder Helden.
Tatsächlich lädt hier kaum eine Figur zum Mitfühlen oder Nachmachen ein. Sicher hat man anfänglich Mitleid mit dem kaum geachteten Peter, der sich von allen verspotten lassen muss. Vom feschen Bastian (David Schütter), der aufgrund seines guten Aussehens und seiner Tanzkünste jede Frau haben kann – inklusive Lisbeth. Von Bastians wohlhabendem Vater Etzel (Roeland Wiesnekker), der immer beim Würfelspiel gewinnt. Von Lisbeths Vater Löbl (Sebastian Blomberg), der sich die Zuneigung zu seiner Tochter vergolden lassen will. Nein, eine Vorbildfunktion hat keiner von denen. Eher scheint da ein Wettbewerb zu laufen, wer der unsympathischste im ganzen Land ist. Ein Wettbewerb, an dem später auch Peter mitmachen wird, als er merkt, dass er auf seine Weise nicht ans Ziel kommt.
Moderner Kern im altmodischer Hülle
Und plötzlich wird Das kalte Herz, das in vielerlei Hinsicht so altmodisch wirkt, dann auf einmal ganz modern. Und relevant. In einer Zeit, die zunehmend in die ganz da oben und ganz da unten auseinanderbricht und in der Ellbogen zur Alltagswaffe geworden sind, braucht es nicht viel, um Parallelen zwischen Film und Realität zu ziehen. Wenn dann auch noch Johannes Naber Regie führt, der zuletzt in Zeit der Kannibalen profitfixierte Unternehmensberater als satirische Zielscheibe nutzte, wird klar: Dieses Märchen will etwas sagen. Mehr sein als seichte Romantik, um sich nachts in den Schlaf zu träumen. Hier wird tatsächlich noch mit moralischen Fragen gerungen und nach den Grautönen im Schwarz gesucht.
Das ist sympathisch, auch deshalb, weil sich hierzulande kaum einer mehr an dieser Form des Genrekinos versucht. Der Stoff selbst steht im Vordergrund, wird nicht durch Slapstickmomente, hineingestopfte Actionszenen oder Kitsch verwässert. Das macht Das kalte Herz manchmal aber auch etwas anstrengend. Und langatmig. Gerade der Einstieg braucht schon recht lange, bis er mal auf den Punkt kommt. Um auch ja jedem zu zeigen, in welcher Situation sich Peter befindet, werden manche Szenen etwas zu sehr ausgedehnt. Manches öfter wiederholt, als es gebraucht hätte. Dafür wird es zum Ende hin recht hektisch, da hätte ein bisschen mehr Luft ganz gut getan. Ebenso ist die Mischung aus plakativen und subversiven Elementen nicht immer wirklich geglückt. Dennoch ist es schade, dass der Film letztes Jahr an den Kinokassen so sehr ignoriert wurde. Denn auch wenn der Titel anderes vermuten lässt, die Umsetzung des Märchens hat das Herz am rechten Fleck, gibt einem mehr mit auf den Weg, als es viele andere Fantasy-Streifen tun. Hat eben weil er so aus der Gegenwart gefallen zu sein scheint, mehr über diese zu erzählen als so mancher Eskapismus, der für pralle Geldbeutel sorgt.
OT: „Das kalte Herz“
Land: Deutschland
Jahr: 2016
Regie: Johannes Naber
Drehbuch: Christian Zipperle, Johannes Naber, Steffen Reuter, Andreas Marschall
Vorlage: Wilhelm Hauff
Musik: Oliver Biehler
Kamera: Pascal Schmit
Besetzung: Frederick Lau, Henriette Confurius, Moritz Bleibtreu, Milan Peschel, David Schütter, Roeland Wiesnekker, Sebastian Blomberg
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)