(„Les Chaises Musicales“ directed by Marie Belhomme, 2016)
Familie? Kinder? Das ist für Pauline (Isabelle Carré) nicht mehr als ein Wunschtraum. 39 Jahre ist sie inzwischen und von einer festen Beziehung meilenweit entfernt. Oder auch von beruflichem Erfolg. Mit Musikunterricht und Auftritten bei Kindergeburtstagen und Seniorenfeiern kommt sie gerade mal irgendwie über die Runden. Zu einer solchen wollte sie auch gerade, als sie den nichtsahnenden Fabrice (Philippe Rebbot) so sehr erschreckt, dass der in eine Grube und gleich drauf ins Koma fällt. Voller Schuldgefühle und mithilfe einer kleinen Notlüge besucht sie ihn daraufhin im Krankenhaus. Aus einem Besuch werden mehrere. Und bevor sie es sich versieht, steckt Pauline so fest im Leben des Unbekannten, dass sie nicht mehr heraus will. Aber was, wenn er eines Tages doch wieder aufwacht?
Wenn ausländische Filme eingedeutscht werden, kann das witzige Formen annehmen. Ärgerliche. Manchmal auch unverständliche. Dass aus dem Originaltitel Les Chaises Musicales – der französische Name des Kinderspiels „Reise nach Jerusalem“ – hierzulande ein Die fast perfekte Welt der Pauline wurde, kann man noch irgendwo nachvollziehen. Schließlich soll auf diese Weise an den Klassiker Die fabelhafte Welt der Amélie verwiesen werden. Warum aber aus der Hauptfigur Perrine bei uns eine Pauline werden musste, das wird dann doch nicht so ganz klar. Vielleicht war man der Ansicht, dass der geläufigere Name zu besseren Ergebnissen an den Kinokassen führt. Falls ja, dann ist der Versuch gescheitert: Die Komödie fiel bei uns wie auch schon in der Heimat ziemlich durch. Und das ist schade, denn Regisseurin und Co-Autorin Marie Belhomme hat hier ein durchaus empfehlenswertes Spielfilmdebüt abgeliefert.
Wie viele andere Komödien und doch anders
Die Suche nach ähnlichen Filmen führt dabei aber zunächst einmal aus Frankreich heraus, hin zu den englischsprachigen Kollegen. Der Vergleich zu Während du schliefst drängt sich natürlich auf, wo sich ebenfalls eine Frau ins das Leben eines komatösen Mannes schlich. Und auch Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück ist eine offensichtliche Referenz: In beiden Fällen handeln die Geschichten von attraktiven Blondinen in den späten 30ern, die beruflich und privat in so ziemlich jedes Fettnäpfchen treten, sympathisch, chaotisch, tollpatschig. Anders als bei den beiden Filmen spielt hier die romantische Komponente aber erst einmal keine besonders große Rolle. Die wird später dann zwar doch ausgebaut, ein paar Konventionen müssen schließlich doch eingehalten werden. Ansonsten ist Die fast perfekte Welt der Pauline aber eigentlich eher unkonventionell, verschroben, anders.
Das soll nicht bedeuten, dass Belhomme nicht doch immer mal wieder zum Mainstream hinüberschielt. So mancher Ausflug ins seichte Slapstick-Gewässer zeigt, dass die Französin durchaus möglichst viele Menschen abholen wollte. Nur ist ihre Titelfigur eigentlich jemand, der nirgends richtig reinpasst. Eine Verliererin, die irgendwie den Absprung aus der Kindheit nie wirklich geschafft hat. Das wird von Isabelle Carré (Familie auf Rezept, Die Sprache des Herzens) mit viel Charme gespielt. Und das hat die Geschichte auch nötig, da die Stalkerlelemente – hier wird ein fremdes Leben gekapert – eigentlich Stoff für verstörende Thriller böten. Der Home-Invasion-Vertreter Replicas – In their Skin etwa nutzte eine ganz ähnliche Idee.
Träumen, lieben, leben
Die fast perfekte Welt der Pauline will das natürlich nicht. Vielmehr ist die mit nachdenklichen Tönen versehene Komödie in erster Linie eine Liebeserklärung ans Leben und an die vielen Nobodys, die darin ihren Weg suchen. Gerade auch weil Pauline immer mehr in der Identität des Unbekannten herumwildert, beginnt sie, sich selbst zu finden. Die Suche nach dem anderen wird zur Suche nach dem eigenen ich. Was als Tragödie beginnt, wird später zu einem märchenhaften Feel-Good-Denkmal für die Träumer da draußen, die nicht so recht wissen, wo sie hin sollen. Zu einer Aufmunterung, sich trotz allem treu zu bleiben und sich für das zu interessieren, was um einen herum passiert. Für die Menschen da draußen, über die wir so wenig wissen. Perfekt ist das dann zwar nicht, aber doch nah genug dran, um einen bei aller späterer Vorhersehbarkeit und Zufälligkeit zu Herzen zu gehen.
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