In This Corner of the World
© FUMIYO KOUNO/FUTABASHA/KONO SEKAI NO KATASUMINI PROJECT

(„Kono Sekai no Katasumi ni“ directed by Sunao Katabuchi, 2016)

In This Corner of the World
„In This Corner of the World“ läuft im Rahmen des Internationalen Trickfilm Festivals Stuttgart (2. bis 7. Mai 2017)

Suzu ist ein freundliches Mädchen, ein bisschen verschusselt, dafür aber hilfsbereit. Und künstlerisch begabt: Wann immer sie kann, schnappt sie sich Stift und Papier, um die Welt da draußen zu zeichnen. Mit ihrer Familie lebt sie glücklich im Hiroshima der 1940er, bis entschieden wird, dass sie an einen Jungen in Kure verheiratet werden soll. Doch obwohl auch er ausgesprochen freundlich ist, tut sich Suzu ein wenig schwer in der neuen Umgebung. Vor allem mit der Familie ihres Mannes kommt es regelmäßig zu Konflikten, da die verträumte Suzu kaum für den Haushalts zu gebrauchen ist. Mit der Zeit wachsen sie aber doch zu einer Familie zusammen – vor allem, als der Krieg sie alle zusammenschweißt.

Nicht nur wir in Europa, auch in Japan setzt man sich über 70 Jahre später gern und oft mit dem Zweiten Weltkrieg auseinander. Für unsereins vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig erfolgt das jedoch immer wieder im Rahmen eines Zeichentrickfilms – ein Medium, das hierzulande im Ruf steht, in erster Linie Kinder ansprechen zu wollen. Zu Unrecht. Tatsächlich hat der Animebereich eine Reihe von Klassikern oder zumindest sehr empfehlenswerten Kriegsfilmen hervorgebracht. Am bekanntesten sind dabei sicher die zwei Schocker Die letzten Glühwürmchen und Barfuß durch Hiroshima. Aber auch die Anthologie The Cockpit und das Nachkriegsdrama Giovannis Insel machen sich in jeder Animesammlung gut.

Kriegsschrecken aus den Augen eines unschuldigen Kindes
In This Corner of the World, welches auf dem gleichnamigen Manga von Fumiyo Kōno basiert, reiht sich da qualitativ ein. Und auch sonst gibt es Gemeinsamkeiten: Wie diverse der Beispiele oben wird das Kriegsgeschehen nicht direkt gezeigt, sondern über den Umweg junger Protagonisten. Der Schrecken, das Elend, er wird noch einmal verstärkt, indem er Kinder betrifft, durch deren Augen wir das Ganze sehen müssen. Einen großen Unterschied gibt es jedoch: Während die Kollegen einen kleinen Auszug aus dem Krieg wählten, konzentriert man sich hier lange auf Nicht-Kriegsschauplätze. Genauer nimmt sich Regisseur Sunao Katabuchi (Das Mädchen mit dem Zauberhaar) viel Zeit, den Alltag von Suzu zu zeigen, Erlebnisse mit der Familie, kleine Geschichten aus der Schule.

Dass in Japan Krieg herrscht, bekommt hier kaum einer mit – nicht die Kinder, nicht die Zuschauer. Wären da nicht die großen Schlachtschiffe, die immer mal wieder an der Küste vorbeifahren, man würde gar nicht glauben wollen, dass in dieser Idylle Menschen ums Überleben kämpfen. Das macht den späteren Wechsel umso schockierender, wenn Bombenregen, Streitigkeiten mit dem Militär und Luftschutzbunker hinzukommen. Und natürlich die Atombombe. Anders als bei Barfuß durch Hiroshima steht sie hier aber nicht im Mittelpunkt. Fast beiläufig sind wir dabei, wenn die Amerikaner Zigtausende von Japanern auf einen Streich auslöschen. Dafür findet In This Corner of the World andere Möglichkeiten, den Alptraum eines Krieges zu verbildlichen.

Etwas zäher Start, aber die Geduld lohnt sich
Man muss aber schon ein wenig Geduld dafür aufbringen. Mehr als zwei Stunden ist der Film lang, was für einen Anime schon eine ganze Menge ist. Und man merkt ihm diese Laufzeit auch an, vor allem in der ersten Hälfte. Das liegt auch daran, dass es hier keine fortlaufende Geschichte gibt, sondern viele Einzelmomente. Die sind oft so alltäglich, dass sie nahe der Banalität sind. Dazu auch noch sehr kurz: Manche Abschnitte dauern nur wenige Sekunden, da bleibt nicht viel Zeit für Relevanz. Oft genug drängt sich dann auch der Eindruck auf, hier gar keinen Film zu sehen, sondern animierte Comicpanels. Das ist nicht ganz überraschend bei einer Comic-Adaption, führt aber dazu, dass In This Corner of the World erst einmal nicht so recht in die Gänge kommt.

Doch je mehr dieser Momente kommen, je häufiger wir Suzu in gewöhnlichen Situationen sehen, umso mehr wächst sei einem auch ans Herz. Und umso härter ist dann später die Umstellung, wenn das Drama plötzlich und fließend zugleich in den Horrormodus wechselt. Dass man dem beim Japanese Academy Prize 2017 ausgezeichneten Anime sein anfängliches Herumschlingern verzeiht, liegt neben dem Charme besonders auch an der optischen Gestaltung. Das teils durch Crowdfunding finanzierte und vom Animationsstudio MAPPA (Terror in Tokio, Punch Line) umgesetzte Werk ist einer der schönsten Zeichentrickfilme, die man zuletzt hat sehen dürfen. Die Hintergründe sind gemäldegleich, die Figuren realistisch und stilisiert in einem. Auch der sanften Farben wegen erinnert In This Corner of the World oft an Meine Nachbarn die Yamadas von Studio Ghibli, das ebenfalls kleine Alltagsgeschichten erzählte. Animefans dürfen sich daher schon jetzt darauf freuen, dass der zwischen naiver Unschuld, zeitloser Nostalgie und konkretem Schrecken wandelnde Film im Laufe des Jahres in die deutschen Kinos kommen soll. Wer nicht so lange warten mag, dem empfehlen wie einen Besuch des Internationalen Trickfilm Festivals in Stuttgart, wo In This Corner of the World schon Anfang Mai gezeigt wird.



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„In This Corner of the World“ erzählt wie andere Animes auch den Schrecken des Zweiten Weltkrieges aus der Sicht eines Kindes. Bemerkenswert dabei ist, wie groß der Fokus auf dem unschuldigen Alltag ist, der wenig von dem Krieg da draußen mitbekommt. Der Film braucht dadurch etwas lange, bis er in die Gänge kommt, ist später dafür umso wirkungsvoller – und dabei kontinuierlich eine Augenweide.
8
von 10