(„Maikäfer, flieg!“ directed by Mirjam Unger, 2016)
Das Ende des Zweiten Weltkrieges naht, der Alltag steht wieder vor der Tür. Dummerweise aber auch die Russen. Und die haben ganz schlimme Dinge vor: Raub, Vergewaltigung, Mord. So befürchten zumindest die Einwohner von Wien, die dem Ende des Krieges mit einigem Schrecken entgegenschauen. Auch die neunjährige Christine (Zita Gaier) hat von diesen Schreckensnachrichten gehört, als sie mit ihrer Mutter (Ursula Strauss) in eine verlassene Villa zieht. Angst hat sie keine, auch nicht, als ihr Vater (Gerald Votava) sich dort vor den Russen versteckt versteckt. Zu groß ist ihre Neugierde, was wohl alles noch passieren mag. Als dann tatsächlich die Rote Armee auftaucht und sich ebenfalls in der Villa niederlässt, stellt sie zudem fest, dass manche der Russen sogar ganz nett sind. Vor allem Feldkoch Cohn (Konstantin Khabenskiy) wird schnell zu einem guten Freund für sie – was alle anderen nur ungern sehen.
„Maikäfer flieg
Der Vater ist im Krieg,
Die Mutter ist im Pulverland,
Und Pulverland ist abgebrannt.“
Der eine oder andere wird vielleicht noch die Melodie im Ohr haben, die zu einem früher sehr bekannten Kinderlied gehörte. Heute wird diese Kombination aus gefälligen Mitsingreimen und harscher Kriegsthematik bei dem einen oder anderen sicher ein Gefühl der Befremdung auslösen. Gleiches gilt auch für den Film, der sich den Titel des Liedes schnappte und dieses gleich zu Beginn trällern lässt.
Stell dir, draußen ist Krieg und keiner merkt es
Tatsächlich merkt man bei der Verfilmung von Christine Nöstlingers gleichnamigen, autobiografischen Roman manchmal kaum, dass es da draußen überhaupt Krieg gibt. Das soll nicht heißen, dass Maikäfer, flieg! eine heile Welt vorgaukeln würde. Der Vater hat ein kaputtes Bein, ein Junge wird von den Russen fast misshandelt, das Essen ist überall knapp geworden. Und doch wirken die Trümmerhaufen oft wie ein Abenteuerspielplatz für das kleine Mädchen. Ein spannender Ort, an dem es viel zu entdecken gibt, aber nichts zu fürchten.
Durch die kindliche Perspektive, welche die Geschehnisse umdeutet oder auch mal infrage stellt, bekommt die Geschichte manchmal etwas verträumt-märchenhaftes. Gleichzeitig sorgt der beschränkte Schauplatz – fast alles spielt sich in oder um die Villa ab – für ein kammerspielartiges Ambiente. Eine große Handlung gibt es in dem Film dann auch nicht, beschrieben wird der Alltag während des Zusammenlebens. Das hört sich nicht nach viel an, bietet aber doch die Bühne für jede Menge zwischenmenschlicher Komplikationen, von düsteren (die Bedrohung durch die Besatzung) über komische (die Verzweiflung über Christines Unbedachtheit) bis zu warmherzigen (die Geschichte um Cohn). So ganz wird zwar nie ersichtlich, warum das Mädchen einen solchen Narren an dem weder für den Kampf noch fürs Kochen geeigneten Russen gefressen hat. Aber Kinder haben nun mal ihre eigene Logik.
Historische Ausstattung und ein zauberhafter Wirbelwind
Die stärker personalisierte, kindliche Herangehensweise an das Thema ist einer der Gründe, sich dieses etwas andere Kriegsdrama einmal anzuschauen. Aber auch die Ausstattung kann sich sehen lassen. Beim Österreichischen Filmpreis 2017 gab es dann auch eine Auszeichnung für die Kostüme sowie einen für den Ton. Nominiert war zudem Krista Stadler (Krampus), welche die Großmutter spielt. Das aber natürlich nur als Nebendarstellerin, da die ganze Aufmerksamkeit der jungen Zita Gaier gebührt. Die verzaubert dann auch als kleiner Wildfang, der die Welt mit eigenen, großen Augen – plus einer Glaskugel – betrachtet und selbst in dem größten Elend noch etwas Schönes finden kann. Das mag man etwas zu beschönigend finden, hat aber doch eben auch etwas Tröstliches. Wie eben einen Maikäfer, der selbst dann noch mit seinen schwarzroten Flügeln zum Träumen anregt, wenn rings um einen herum alles niedergebrannt ist.
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