(„Shigatsu wa Kimi no Uso“ directed by Kyōhei Ishiguro, 2014/15)
Kousei Arima ist ein Wunderkind, wie man es nur selten sieht. Wie man es vor allem nur selten hört. Wann immer sich der Junge an ein Klavier setzt, schmelzen die Herzen des Publikums dahin. Doch all das endet, als seine Mutter nach langer Krankheit stirbt. Sie war es, die ihn immer zu Höchstleistungen angetrieben hat. Die ihn dazu brachte, an renommierten Wettkämpfen teilzunehmen. Mit ihrem Tod hat Kousei gleichzeitig jedoch den Bezug zur Musik verloren. So sehr er sich auch anstrengt, er kann die Töne beim Spielen nicht mehr hören. Auch seine besten Freunde Tsubaki und Ryouta können ihm aus seinem Tief nicht heraushelfen. Erst als er der lebensmutigen, unbändigen Kaori begegnet, wachsen in ihm wieder der Lebenswille und die Liebe zu der Musik.
Als 2005 die Programmschiene noitaminA an den Start ging, dann mit dem Ziel, auch etwas andere Animes im Fernsehen zu zeigen. Auch neue Zielgruppen anzusprechen. Das bedeutete, dass wir zur Anfangszeit neben ungewöhnlichen Serien wie Mononoke oder Hakaba Kitarō solche sehen durften, die sich speziell an ein weibliches Publikum richteten. Honey and Clover zum Beispiel. Oder auch Paradise Kiss. In den letzten Jahren ging dieser Anspruch zwar ein wenig verloren, dann und wann gibt es sie aber noch, die gefühlsbetonteren Geschichten.
Shigatsu wa Kimi no Uso, auch unter dem englischen Titel Your Lie in April bekannt, ist eine dieser Geschichten. Die Basis dafür lieferte ein zwischen 2011 und 2015 veröffentlichter Manga von Naoshi Arakawa. Der war so populär, dass neben der Anime-Umsetzung kürzlich noch ein Realfilm raussprang. Selbst eine Theateradaption ist nun im Gespräch. Fans hat das Drama um zwei junge Musikliebhaber also einige. Aber auch ebenso viele Gegner. Tatsächlich spaltete der Anime während der Ausstrahlung das Publikum in zwei Lager: Die eine Hälfte liebte Shigatsu wa Kimi no Uso, die andere hasste sie. Und das teilweise aus denselben Gründen.
Leidenschaft vs. Perfektion
Zwei Themen sind es, die in dem Anime miteinander verbunden werden. Da wären zum einen die zwei unterschiedlichen Auffassungen zur Musik, die aufeinanderprallen und ständig für Reibungen sorgen. Die eine Seite (Kousei) vertritt die Auffassung, dass die Vorgaben des Komponisten – sprich Noten – bindend sind. Dass Kunst aus Perfektion kommt. Kaori wiederum steht für die Ansicht, dass das Individuelle und die Interpretation wichtiger sind. Noten sind hier nur ein Mittel zum Zweck, eine Art Ausgangslage für die eigentliche Kunst. Für welche Auffassung das Herz von Arakawa schlägt, daraus macht sie nicht wirklich ein Geheimnis. Die Anhänger des Notenlesens werden hier kontinuierlich als verknöcherte Herzlose dargestellt, denen man schon aus Prinzip nicht zuhören will.
Es ist aber nicht nur diese mangelnde ernsthafte Auseinandersetzung zweier Ideale, bei der sich Shigatsu wa Kimi no Uso recht grob gibt. Die Figuren beispielsweise werden nie wirklich über Klischeestatus hinaus befördert. Viele Charaktereigenschaften braucht es da nicht, stattdessen werden traumatische Hintergründe mitgeliefert. Das ist dann auch einer der beiden Punkte, an dem sich viele stören: Wie so manches japanische Werk ist das hier schon übertrieben dramatisch. Da wird teilweise bei dem Versuch, große Tragik zu erzeugen, dermaßen am Ziel vorbeigeschossen, dass das Drama fast zu seiner eigenen Karikatur wird. Hin und wieder deutet sich an, dass dies auf eine verzerrte Wahrnehmung von Kousei zurückzuführen ist – seine übertrieben fordernde Mutter wird grundsätzlich ohne Augen dargestellt, was ihr ein dämonisches Aussehen verleiht –, aber es bleiben eben Andeutungen. Auch hier fehlt es an einer echten Diskussion, um das individuelle Perspektivenspiel auf den Punkt zu bringen. Dafür gibt es das plakative Grauen.
Viel Musik, aber den Ton verfehlt
Das fällt auch deshalb so auf, weil Shigatsu wa Kimi no Uso gleichzeitig sehr komisch sein will. Da gibt es Slapstickeinlagen, grimassenverzerrte Zwischensequenzen und eine Beziehung zwischen den Jugendlichen, die mit viel physischem Humor einhergeht. Oder auch physischer Gewalt. Und das ist dann der zweite große Knackpunkt für viele: Der Anime schlägt auf eine etwas bizarre Weise gleichzeitig in zwei entgegengesetzte Seiten übertrieben aus und findet dadurch nie so recht seine Stimme. Man hat nie wirklich den Eindruck, es hier mit Menschen zu tun zu haben – was bei einer Romanze eher ungünstig ist.
Was jedoch durchgängig überzeugt, ist die audiovisuelle Umsetzung. Das Animationsstudio A-1 Pictures (AnoHana – Die Blume, die wir an jenem Tag sahen, The Anthem of the Heart) hat viele sehr sehenswerte Hintergründe auf den Bildschirm gezaubert, auch bei den Instrumenten gibt es viel Liebe zum Detail. Musikalisch wird ohnehin aufgetrumpft. Ständig wird aufgeführt, geprobt oder sonst wie musiziert. Das meiste davon stammt natürlich aus dem klassischen Bereich, da dieser auch auf der Bühne vorgeführt wird. Dann und wann schmuggeln sich aber auch modernere Lieder dazwischen, etwa das Wiegenlied „Twinkle Twinkle Little Star“ oder auch „Once upon a Dream“ aus Dornröschen. Selbst wenn der Inhalt immer mal wieder schwächelt, so gibt es doch 22 Folgen lang genug zu sehen und zu hören, dass man bis zum Schluss dabei bleiben kann.
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