(„Stille Reserven“ directed by Valentin Hitz, 2016)
Nach dem Tod ist vor dem Tod: Im Österreich der Zukunft wird das Potenzial der Menschen auch nach deren Ableben noch genutzt, indem sie künstlich am Leben erhalten und an Maschinen angeschlossen werden. Nur wer eine sogenannte Todesversicherung abschließt, kann sichergehen, dass mit dem Tod auch wirklich alles vorbei ist. Vincent Baumann (Clemens Schick) verkauft solche Versicherungen. Und er ist sehr gut darin, da er die maßgeschneiderten Profile seiner potenziellen Kunden zu lesen weiß. Als er jedoch bei seinem Verkaufsgespräch bei dem wohlhabenden Erfinder Wladimir Sokulow (Daniel Olbrychski) scheitert, erfährt er zum ersten Mal, was das gnadenlose System für die einfachen Menschen bedeutet. Richtig kompliziert wird seine Situation aber erst durch Lisa (Lena Lauzemis), die Tochter von Wladimir, die im Geheimen als Aktivistin für den freien Tod kämpft und der Vincent rasch verfällt.
Deutschsprachige Science-Fiction-Filme? Das dürfte für viele ein Widerspruch in sich sein. Nicht nur, dass hiesige Genrebeiträge allgemein mit vielen Vorurteilen zu kämpfen haben. Wenn es dann auch noch um kostspielige Zukunftsvisionen geht, dann stoßen viele doch an ihre (finanziellen) Grenzen. Umso schöner ist es, dass in der letzten Zeit einige entstanden sind, die es sogar in die Kinos schafften und die unterschiedlicher kaum sein könnten. Erst konfrontierte uns das melancholische Wir sind die Flut mit unseren Ängsten und Sehnsüchten, dann ließen die Schweizer in dem grell-abgefahrenen Polder – Tokyo Heidi die Sau raus. Und nun sind die Österreicher an der Reihe, präsentieren uns mit Stille Reserven eine der unheimlichsten Dystopien, die wir in den letzten Jahren sehen durften.
Eine Zukunft ohne Menschlichkeit
Wobei man hier nur selten sieht, dass der Film aus Österreich stammt. Das liegt zum einen daran, dass mit Ausnahme von der mit dem Österreichischen Filmpreis ausgezeichneten Marion Mitterhammer als Versicherungschefin Diana Dorn die meisten Darsteller doch aus Deutschland kommen. Vor allem aber ist das Land kaum mehr wiederzuerkennen. Nur kurz erblicken wir zwischendurch die traditionellen Gebäude des heimeligen Wiens. Zum Großteil scheint die Stadt aber einer futuristischen Wolkenkratzermetropole gewichen zu sein, grau, kalt und ohne Identität. Das passt visuell natürlich wunderbar zu einer Geschichte, in der jegliches Gefühl und jegliche Individualität ausgemerzt wurden. Wer keine Leistung erbringt, wird sofort aussortiert, Medikamente helfen bei der Selbstoptimierung, die Versicherung, in der Vincent arbeitet, besteht aus sterilen Arbeitsnischen, in denen sich nur selten persönliche Merkmale finden.
Eindeutig: Regisseur und Drehbuchautor Valentin Hitz hat hier eine Welt entworfen, in der die Menschen nichts mehr zählen, alles und jeder nur noch ein Mittel zum Zweck ist. Dabei ist nicht einmal klar, was dieser Zweck noch sein soll. Die Versicherung ist beispielsweise allgegenwärtig, hat überall kleine Stände, die wie Wechselbuden aussehen – nur dass hier kein Geld, sondern Versicherungen gewechselt werden. Aber niemand scheint davon noch zu profitieren. In Stille Reserven wurden Arbeit und menschliche Ressourcen perfektioniert, bis in die detaillierten Profile jedes Menschen hinein, ohne dass es noch einen privaten Ausgleich dafür geben würde.
Die Sehnsucht nach Leben und Tod
Den gibt es nur bei denen, die nicht Teil des Systems sind. Parallelgesellschaft werden die Menschen genannt, die sich dieser Systematisierung entziehen. Wenn Lena Lauzemis (Herbert, Das Zimmermädchen Lynn) da auf der Bühne steht, altmodische Lieder von sich gibt, dann ist das voller Melancholie. Voller Nostalgie. Voller Sehnsucht nach einem Leben, das einem gehört. Aber wie sollte das, wenn einem nicht einmal der Tod mehr gehört? Das ist dann auch der erschreckendste Aspekt von Stille Reserven: Es gibt keinen Ausweg. Alles ist durchgeplant, erfasst, bestimmt. Nicht einmal ein Selbstmord, sonst immer das allerletzte Mittel, kann einen hier noch retten. Das Elend fängt dann nämlich erst an.
Atmosphärisch ist das sehr stark. Auch ohne großes Budget zeigt uns Hitz hier eine Zukunft, die derzeitige Tendenzen aufnimmt und auf eine Weise fortspinnt, die gleichzeitig plausibel und furchtbar erschreckend sind. Die unterkühlten und farblosen Bilder werden dabei von dem Soundtrack wunderbar unterstützt. Und eben auch den Schauspielern. Die vielen Tätowierungen von Clemens Schick (4 Könige) wirken in einer derart schmucklosen Welt zwar völlig fehl am Platz, sein reduziertes, emotionsfreies Spiel fügt sich aber nahtlos in das triste Bild der Dystopie. Die Geschichte selbst wird dabei jedoch zur Nebensache. Dass das Szenario kaum vorgestellt wird, manche Punkte nie so richtig erklärt werden, ist das geringere Problem. Denn auch wenn man hier manches nicht ganz nachvollziehen kann, es geht dann doch um das große Ganze. Schade ist jedoch, dass zum Ende hin dann doch zu viele Konventionen wieder eingehalten werden. Wohl um das Publikum für den sehr ruhigen Hauptteil zu entschädigen, wird das Tempo während der romantischen Rebellion erhöht. Das geschieht jedoch etwas ungelenk, umständlich, passt nicht so recht zu der zuvor gezeigten Eleganz. Aber auch wenn die Handlung nicht so spannend ist, wie es der Rest verdient hätte, es ist schon ein beeindruckend bedrückender Film, der da in die Kinos kommt. Einer, der mit minimalen Mitteln eine so makabre Stimmung erzeugt, dass einem tatsächlich angst und bange werden kann.
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