(„1917 – Der wahre Oktober“ directed by Katrin Rothe, 2017)
Filmemacher, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg auseinandersetzen, die sind nun wirklich keine Seltenheit. Vor allem die menschenverachtenden Taten des Dritten Reiches werden immer wieder thematisiert, etwa in Son of Saul oder Nebel im August. Manche interessieren sich mehr für die persönlichen Geschichten und Konflikte, die während der Besatzungsjahre den Alltag Europas bestimmten (Suite Française – Melodie der Liebe, Unser letzter Sommer). Selbst Hollywood nimmt sich gerne hin und wieder des Themas an (Herz aus Stahl, Allied – Vertraute Feinde), und sei es nur weil der Nazi an sich einfach ein prima Feindbild abgibt, über den man nicht viel sagen muss. Nazis sind keine Figuren. Nazis sind einfach nur Nazis.
Während die 30er und 40er so von vielen spannenden Seiten aus beleuchtet werden, wird der Erste Weltkrieg vergleichsweise stiefmütterlich behandelt. Von der auf alten Briefen, Tagebüchern und Fotografien basierenden Dokumentation Im Krieg – Der 1. Weltkrieg in 3D einmal abgesehen, gab es zuletzt nicht viel zu sehen. Mit 1917 – Der wahre Oktober kommt nun doch mal wieder ein Werk in die hiesigen Kinos, welches sich der Zeit angenommen hat – auf eine ganz eigene Art und Weise. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht.
Bekannte Ereignisse einmal ganz anders präsentiert
Zunächst einmal interessiert sich die in der damaligen DDR geborene Regisseurin Katrin Rothe gar nicht so recht für den Krieg an sich, weniger noch für die deutschen Taten. Stattdessen wendet sie sich der Oktoberrevolution zu. Genauer beleuchtet sie die aufregende Zeit zwischen der Abdankung des Zaren im März 1917 und der Machtergreifung durch die Bolschewiki im Oktober desselben Jahres. Diese arbeitet sie zwar streng chronologisch ab, hat aber zwei Kniffe gefunden, wie die eigentlich bekannten Ereignisse noch einmal ganz anders präsentiert werden.
Da wäre zum einen der inhaltliche Dreh: Es sind nicht einfach Zahlen und Fakten, die in 1917 durchgenommen werden. Die kommen zwar auch vor, aber eher indirekt. Sie überlässt das Wort lieber Künstlern und Intellektuellen aus der Zeit, darunter Maxim Gorki und Wladimir Majakowski. Rothe wollte wissen, wie diese die damaligen Umwälzungen sahen und zitiert dafür – vergleichbar zu Im Krieg – aus alten persönlichen Schriften, in denen die fünf Hauptfiguren ihre Gedanken niedergeschrieben haben.
Der spannende Kampf mehrerer Weltsichten
Das ist vor allem deshalb interessant, weil es hierbei keinen echten Konsens gab. Vielmehr war die Zeit geprägt von konkurrierenden Weltsichten und Gesellschaftsentwürfen. Dass die Monarchie in Russland weg sollte, darüber waren sich die meisten noch einig. Doch was stattdessen zu folgen hatte, das wusste niemand so genau. Oder es wussten zu viele auf einmal. Hoffen und Bangen, große Träume und eine ebenso große Ernüchterung – die Künstler sehen die vielen Veränderungen in ihrem Land mit Sorge, halten in ihren Schriften die mal gewalttätigen, dann wieder absurden Machtkämpfe infolge der Revolution fest.
Dieser künstlerisch-persönliche Zugang zu dem Thema ist aber nicht das einzige, was 1917 – Der wahre Oktober so sehenswert macht. Es sind auch die Bilder, in die Rothe diese Zitate packt. Da reine Buchlesungen optisch nun mal nicht so viel hergeben und es keine Bewegtbilder der Künstler gab, schuf sie diese einfach selbst – mithilfe von ausgeschnittenen Figuren. Ähnlich zu Die Hälfte der Stadt vereint Rothe bei ihrem Dokumentarfilm reale Archivaufnahmen der Zeit mit animierten Sequenzen. Die sind allesamt etwas schlichter, aber doch originell umgesetzt. Beispielsweise werden Nebenfiguren konsequent nur grau und gesichtslos gezeigt, damit der Zuschauer immer weiß, welche der anwesenden Personen die wichtigen sind. Dazu gibt es eine Reihe kleinerer Spielereien, etwa wenn Särge sich in Stop-Motion-Technik von selbst in Bewegung setzen. Gebraucht hätte es diese eigenwillige Herangehensweise sicher nicht, der Film hat auch so viele interessante Dinge zu erzählen. Reizvoll ist sie aber, gibt dem historischen Stoff ein ganz eigenes Gesicht, zwischen komisch, märchenhaft und zeitvergessen.
(Anzeige)