(„6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage“ directed by Sobo Swobodnik, 2017)
Wie etwas fassbar machen, das eigentlich nicht zu fassen ist? Das man vielleicht auch nicht wirklich fassen will? Seit 4 Jahren schon zieht sich der NSU-Prozess hin. Und ein Ende ist nicht in Sicht, bis ins nächste Jahr sind bereits weitere Termine geplant, um eine Tragödie zu beenden, die wie kaum eine in der neueren deutschen Geschichte schockiert und beschämt. Wie konnte es sein, dass die rechtsextreme Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ über Jahre hinweg Morde ausüben konnte, ohne dass jemand ihnen auf die Spur kam? Ohne dass überhaupt die Möglichkeit einer solchen Verbindung in Betracht gezogen wurde?
„Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen.“
Mit diesem Zitat von Angela Merkel beginnt der Film. Ein Satz, den sie am 23. Februar 2012 gesagt hat, um der Opfer der NSU-Morde zu gedenken. Knapp sechs Jahre nach dem letzten der neun Morde an Kleinunternehmen mit Migrationshintergrund. Er hört sich ein bisschen nach Hohn an, angesichts des schleppenden, immer wieder problematischen Prozesses. Angesichts vor allem der Ermittlungen, welche die „Schuld“ der Morde vorrangig bei den Opfern suchte. Von Mafiaverbindungen war die Rede, auch persönliche Verwerfungen oder gar Mittäterschaften wurden konstruiert.
Sobo Swobodnik erinnert daran, wie viel während der Ermittlungen versäumt wurde, fast schon genüsslich, indem alte Zeitungsartikel vorgelesen und Widersprüche aufgezeigt werden. Eine reine Abrechnung mit den skandlösen Versäumnissen und Vorurteilen des deutschen Rechtstaates ist sein 6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage – der Titel bezieht sich auf die Dauer der Mordserie – jedoch nicht. Es sind nicht die Täter, die hier im Mittelpunkt stehen. Erwähnt werden sie manchmal, aber eher im Rande. Der Regisseur interessiert sich viel mehr für die Opfer.
Sein Zugang zu dem Thema ist ungewöhnlich. So gar nicht das, was man hier erwarten würde. Wir sehen keine Bilder der neun. Wir erfahren nichts über deren Biografien. Wir hören auch keine Angehörigen, die an die Verstorbenen erinnern. Zumindest nicht direkt, allenfalls über Zitate. Stattdessen schleicht Swobodnik an den damaligen Tatorten herum. Und schleichen ist hier fast wörtlich gemeint, denn er filmte die Straßen und Passanten in Zeitlupe. Sofern denn mal Menschen auftauchen. Denn alle Sprecher melden sich aus dem Off. Wenn sämtliche Aufnahmen dann auch noch in Schwarz-Weiß gedreht wurden, dann bekommt die Rückkehr zum alten Terror endgültig etwas Surreales, etwas Gespenstisches. Wir sind da und doch auch nicht.
Klänge aus einer anderen Welt
Unterstützt werden diese (alp-)traumwandlerischen Szenen durch Vogelgezwitscher und sphärisch-verstörende Klänge des Berliner Musikers Elias Gottstein, dessen Band Guaia Guaia Swobodnik vor einigen Jahren eine eigene Dokumentation spendiert hatte (Unplugged: Guaia Guia). Der Effekt ist etwas zwiespältig. Auf der einen Seite bleibt einem 6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage auf diese Weise zweifelsfrei in Erinnerung: Die Verbindung aus Mordsthemen und der Inszenierung verbinden sich hier zu etwas ganz eigenem. Gleichzeitig sorgt die eigenwillige künstlerische Form auch wieder für Distanz. Sehr viel fassbarer ist die Geschichte deshalb dann auch nicht geworden, weder auf der Täter-, der Ermittler- noch der Opferseite. Man kann und will nach wie vor nicht verstehen, was damals eigentlich passiert ist. Was gut ist und was schlecht ist: Es bleibt ein Schauerrätsel, das einen immer wieder auf Neue herausfordert. Eines, das man nicht vergessen darf.
(Anzeige)