(„Bai-Bai Boys“ directed by Itako, 2017)
Es ist eine dieser Szenen, von denen man gar nicht sagen kann, ob man sie nun komisch oder ganz schrecklich finden soll. Noch immer erzählt der Mann, der in dem Vergnügungsviertel Shinjuku 2-chome eine Bar besitzt, davon, wie seine Jungs gegen Geld ihre Körper verkaufen. An Männer. Denn das wäre legal, homosexuelle Liebesdienste wären nicht von dem Anti-Prostitutionsgesetzt betroffen, das vor einiger Zeit verabschiedet wurde. Die Ausnahme hat jedoch nichts damit zu tun, dass käufliche Liebe zwischen Männern fördernswert wäre. Im Gegenteil: Dieser Akt wird in Japan so sehr tabuisiert, dass nicht einmal das Gesetz das Wort in den Mund nehmen mag.
Immer wieder dreht sich bei Boys for Sale alles um diese Themenkomplexe: Tabus. Geheimnisse und Schuld. Verborgene Sehnsüchte. Um Ausgrenzung. Dass beispielsweise AIDS-Kranke offiziell als behindert gelten, da darf einem schon mal ein bisschen die Kinnlade runterfallen. Und auch sonst spart die Dokumentation nicht mit Kuriositäten aus einer fremden, teils verstörenden Welt. Aus einer Welt, die es offiziell nicht gibt.
Von falschen Illusionen und echtem Sex
Dazu passen auch die bizarren Masken, hinter denen sich einige der jugendlichen Gesprächspartner verstecken. So wie vieles in diesem Geschäft mit Illusionen zusammenhängt. Mit dem Aufbau solcher Illusionen. Oder auch mit deren Zerstörung. Sie sollen immer sagen, dass sie heterosexuell seien, erklärt einer der Befragten mal. Denn auf diese Weise wüssten ihre Kunden, dass die Beziehung rein sexueller Natur sei und es keinen Anlass gäbe, auf mehr zu hoffen: Gefühle, Gratisdates.
Bemerkenswert offenherzig sprechen die jungen Männer von ihren Erfahrungen. Von positiven Erfahrungen wie der Gemeinschaft unter den sogenannten „urisen“ – männliche Prostituierte –, die wie eine Klassenfahrt wäre. Aber auch von den negativen: Gewalt, Demütigung. Spätestens wenn einer berichtet, wie er den Hintern zusammenkneift, damit der andere nicht seinen Finger hineinsteckt oder eher sich in Fantasien mit Frauen flüchtet, um der Gegenwart zu entkommen, spätestens dann wird Boys for Sale zu einer Tortur.
Der ruhige Schrecken des Alltags
Das Ganze wird jedoch umso erschreckender, da hier alle so ungezwungen davon reden, ohne große Scheu, sehr höflich. Ohne jegliche Spur auch von Selbstmitleid. Die Ruhe der Berichte, sie steht in einem surreal anmutenden Kontrast zu deren Inhalten. Der 1990 geborene Regisseur Itako, welcher hier sein Debüt abgibt, hat ein deutliches Händchen dafür, seine Gesprächspartner einfach mal reden zu lassen. Das mag formal nicht allzu auffällig sein – von diversen gezeichneten Situationen, die der Anschauung dienen einmal abgesehen –, eindrucksvoll ist es jedoch.
Ob Prostitution als solche eine Daseinsberechtigung hat, wird dabei nie wirklich angesprochen. Zumindest für die urisen hier ist es klar, dass es sich nur um eine Phase handeln kann, die oft durch finanzielle Not bestimmt wurde. An manchen Stellen hätte es gern noch ein bisschen weitergehen dürfen, über die Freier gibt es – auch aus Verschwiegenheitsgründen – nichts zu erfahren. Wer sind diese Menschen? Warum entschließen sie sich dazu, junge Männer zu kaufen? Aber dafür reicht der Rahmen dann doch nicht, in nur 76 Minuten lassen sich nur Details aufgreifen. Die sind dafür aber interessant. Wer mit dem Thema etwas anfangen kann und Ende Mai auf dem japanischen Filmfest Nippon Connection in Frankfurt a. M. ist, sollte den Dokumentarfilm daher im Auge behalten: Boys for Sale feiert dort seine Weltpremiere in Anwesenheit des Protagonisten Co und des Produzenten Ian Thomas Ash.
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