(„Chieri to Cheri“ directed by Makoto Nakamura, 2015)
So richtig einfach ist Chieri ja nie gewesen. Ihren eigenen Kopf hatte sie schon immer. Vor allem hatte das Mädchen immer eine blühende Fantasie, die sie die wundersamsten Dinge sehen ließ. Seit dem Tod ihres Vaters hat sich Chieri jedoch immer weiter zurückgezogen. Nur ihrem Plüschhasen Cherry vertraut sie sich noch an. Das beschert ihr eine Menge Spott, als sie gemeinsam mit ihrer Mutter zum Haus ihrer Oma fährt und sie dort auf ihre jugendlichen Verwandten trifft. Und doch ist sie froh, dass sie ihren Freund dabei hat. Denn bei dem sie erwartenden Abenteuer kann sie jede Hilfe gebrauchen.
Ein ungewohnter Anblick
Zeichentrickwerke gibt es ja in Japan vermutlich mehr, als sie ein einzelner Mensch zählen könnte. Auch die Kunst der Computeranimation wurde in den letzten Jahren immer populärer – sei es zur Unterstützung oder als alleinige Technik (Appleseed, Rudolf the Black Cat). Stop-Motion jedoch, das ist eine Form der Animation, die man so gar nicht mit dem fernöstlichen Land in Verbindung bringen würde.
Allein deshalb schon ist Chieri and Cherry einen Blick wert, der auf dem japanischen Filmfestival Nippon Connection Ende Mai 2017 seine Deutschlandpremiere feiert. Würde Regisseur Makoto Nakamura dieser altehrwürdigen Technik ein neues, anderes Leben einhauchen? Die Frage wird man im Anschluss eher verneinen wollen. Während das Haus der Oma liebevoll japanisch eingerichtet wurde und die Puppen standesgemäße Kleidung aus dem Land der aufgehenden Sonne tragen, verbirgt der Rest seine Herkunft sehr gut.
Bekannte Vorbilder, zauberhaft fantasievoll
Tatsächlich erinnert Chieri and Cherry an seine vielen westlichen Kollegen. Spielzeuge, die zu Leben erwachen, ein Mädchen mit einer blühenden Fantasie – das hört sich schon nach einer Mischung aus Toys in the Attic und Coraline an, mit einem kräftigen Schuss Mein Freund Harvey. Und es sieht auch danach aus. Nakamura, der zuvor auch an einer japanischen Fassung der russischen Puppenserie Cheburashka gearbeitet hatte, zeigt hier seine Vorliebe für eine westlich-düstere Ästhetik. Gerade wenn sich Chieris Fantasien verselbständigen und zu furchteinflößenden Wesen werden, dürften sich Fans von Laika wie zu Hause fühlen – sofern sie bei der deutlich günstigeren Produktion zu Abstrichen bereit sind. Denn ganz so umwerfend wie bei den Amerikanern sind die Effekte hier nicht. Dafür überzeugt der Anime durch seine Atmosphäre.
Trotz der leichten Horroranleihen, trotz dunkler Farben und lebensbedrohlicher Situationen: Chieri and Cherry ist in erster Linie ein Kinderfilm. In dem nicht mal eine Stunde dauernden Werk geht es darum, wie ein junger Mensch seinen Platz im Leben findet, seinen Ängsten gegenübertritt und für andere einsteht. Das ist klassisches Animationsmaterial, ungeachtet von Herkunft oder Technik. Die ganz großen Überraschungen bleiben dabei aus. Die visuelle Abwechslung nimmt nach dem schönen Einstieg ebenfalls etwas ab, wenn Chieri in ihren Fantasien größtenteils Schwarz sieht. Und doch ist der etwas andere Anime ein zauberhaftes kleines Alltagsmärchen geworden, das in bester Tradition steht und der ein größeres Publikum verdient hätte. Die Geschichte ist rührend, gibt dem jungen Publikum etwas Wertvolles mit auf den Weg, betont auch die Wichtigkeit sowie das Heilsame von Fantasie – und das ist etwas, was Kinder heute noch nur sehr selten zu sehen bekommen.
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